DIE MYSTIQUE DER ERLEUCHTUNG

Teil I

U.G.

(Dies ist eine Auswahl von Gesprächen, die zwischen 1973 und 1976 in Indien und der Schweiz geführt wurden.)

Die Menschen nennen mich einen 'erleuchteten Mann'- ich verabscheue diesen Ausdruck - sie können kein anderes Wort finden, um die Art und Weise zu beschreiben, wie ich funktioniere. Gleichzeitig weise ich aber darauf hin, daß es so etwas wie Erleuchtung gar nicht gibt. Ich sage das, weil ich mein ganzes Leben lang danach gesucht habe; ich wollte ein erleuchteter Mensch sein, und ich habe entdeckt, daß es so etwas wie Erleuchtung überhaupt nicht gibt - also stellt sich auch die Frage nicht, ob ein bestimmter Mensch erleuchtet ist oder nicht. Ich schere mich keinen Deut um einen Buddha aus dem sechsten vorchristlichen Jahrhundert, geschweige denn um all die anderen Prätendenten, die wir in unserer Mitte haben. Sie sind ein Haufen Ausbeuter, die von der Leichtgläubigkeit der Leute profitieren. Es gibt keine Macht außerhalb des Menschen. Der Mensch hat Gott aus Angst geschaffen. Also ist die Angst das Problem und nicht Gott.
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Ich habe für mich selbst herausgefunden, daß es kein Selbst gibt, das man erkennen kann - das ist die Erkenntnis, von der ich spreche. Sie kommt als ein Vernichtungsschlag. Sie trifft einen wie ein Blitzstrahl. Man hat alles in eine Sache - die Selbsterkenntnis - investiert, nur um am Ende plötzlich herauszufinden, daß es kein Selbst zu entdecken gibt - da sagt man sich doch: "Was zum Teufel habe ich nur mein ganzes Leben lang getan?!" Das erschlägt einen.

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Mir ist alles mögliche passiert - sehen Sie, ich habe das durchgemacht. Der physische Schmerz war unerträglich - deshalb sage ich, daß es das nicht wirklich ist, was Sie haben wollen. Ich wünschte, ich könnte Ihnen eine Andeutung, eine Ahnung davon übermitteln - dann würden Sie es überhaupt nicht anrühren wollen. Worauf Sie aus sind, existiert nicht: es ist ein Mythos. Sie würden gar nichts damit zu tun haben wollen.

UG: Sehen Sie, ich behaupte, daß dies - ich mag die Worte 'Erleuchtung', 'Moksha' oder 'Befreiung' gar nicht benutzen, denn es sind von ihrer eigenen Wichtigkeit überladenen Worte - nicht durch eigenes Bemühen erreicht werden kann. Es geschieht einfach. Und warum es dem einen geschieht und dem anderen nicht, das weiß ich nicht.

Fragesteller: Ihnen ist es also geschehen?

UG: Mir ist es geschehen.

F: Wann, Sir?

UG: In meinem neunundvierzigsten Lebensjahr.

Was immer Sie jedoch in dieser Richtung tun mögen oder worauf Sie auch aus sind - das Streben oder die Suche nach der Wahrheit oder der Wirklichkeit - es entfernt Sie aus dem Ihnen eigenen ganz natürlichen Zustand, in dem Sie sich schon immer befinden. Es ist nichts, das man erwerben, erringen oder auf Grund eigener Anstrengung erreichen kann; daher verwende ich das Wort 'akausal". Es hat keine Ursache, aber irgendwie kommt die Suche dadurch an ein Ende.

F: Glauben Sie nicht, Sir, daß dies das Ergebnis Ihrer Suche war? Ich frage das, weil ich gehört habe, daß Sie Philosophie studiert haben, daß Sie mit religiösen Menschen Umgang hatten...

UG: Sehen Sie, durch die Suche entfernt man sich von sich selbst - und zwar in die entgegengesetzte Richtung - es besteht absolut kein Zusammenhang.

F: Es ist also trotzdem geschehen, und nicht deswegen?

UG: Trotzdem, das ist das richtige Wort. Alles, was man tut, macht es dem unmöglich, sich auszudrücken, das schon vorhanden ist. Daher bezeichne ich das als Ihren 'natürlichen Zustand'. Sie befinden sich immer in diesem Zustand. Es ist die Suche selbst, die verhindert, daß das, was schon da ist, auf die ihm eigene Weise zum Ausdruck kommen kann. Die Suche geht immer in die falsche Richtung; demnach ist all das, was Sie als sehr tiefsinnig, alles, was sie als sehr geheiligt betrachten, eine Kontamination Ihres Bewußtseins. Wahrscheinlich mögen Sie dieses Wort nicht, aber alles, was sie als heilig und tiefgründig ansehen, ist eine Kontamination.

Also gibt es nichts, was Sie tun können. Es liegt nicht in Ihren Händen. Ich benutze das Wort 'Gnade' nicht gerne, denn dann müßte man hinzufügen - die Gnade wessen? Sie sind kein auserwähltes Individuum, das sich aus irgendwelchen Gründen um Gnade verdient gemacht hätte.

Wenn es mir möglich wäre, dann könnte ich jemandem helfen. Aber das ist etwas, was ich nicht geben kann, denn Sie haben es schon. Warum sollte ich es Ihnen geben? Es ist lächerlich, um etwas zu bitten, das man schon hat.

F: Aber ich fühle es nicht, und Sie tun es.

UG: Nein, die Frage ist nicht, ob man es fühlt; die Frage ist nicht, ob man es weiß; Sie werden es niemals wissen. Es gibt keine Möglichkeit, daß man das überhaupt für sich selbst wissen könnte; es fängt an, sich selbst auszudrücken. Es gibt kein Bewußtsein... Sie sehen, ich weiß nicht, wie ich es sagen soll. Mir kommt niemals der Gedanke, daß ich anders wäre als andere.

F: War das von Anfang an so, seit der Zeit, als Sie sich Ihrer selbst bewußt geworden sind?

UG: Nein, das kann ich nicht sagen. Ich war, wie jeder andere, der in einer religiösen Atmosphäre aufgewachsen ist, hinter etwas her, auf der Suche nach etwas, strebte auf ein Ziel zu. Die Antwort auf diese Frage ist also nicht einfach, denn ich werde in diesen ganzen Lebenslauf einsteigen müssen. Vielleicht kommt es, ich weiß es nicht. (Er lacht.)

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F: Aus Neugier möchte ich, ähnlich wie Nachiketa, gerne wissen, wie Ihnen diese Dinge geschehen sind - insofern Sie sich ihrer bewußt sind.

UG: Sehen Sie, das ist eine lange Geschichte; das ist nicht so einfach.

F: Wir möchten sie gerne hören.

UG: Nein, denn sehen Sie, ich müßte über mein ganzes Leben berichten; ich würde lange dafür brauchen. Die Geschichte meines Lebens geht bis an einen bestimmten Punkt und hört dann auf. Danach gibt es keine Biographie mehr.

Die beiden Autoren, die daran interessiert sind, meine Biographie zu schreiben, haben zwei verschiedene Ansätze. Der eine sagt, daß das, was ich gemacht habe - das Sadhana (spirituelle Übungen), die Erziehung, mein ganzer Lebenslauf - mich dahin gebracht hätten. Ich sage, daß es trotz dieser Dinge geschah. Der andere interessiert sich nicht sehr für meine Behauptung daß es 'trotzdem' geschehen ist, denn dann hätte er nicht genug Material, um einen dicken Band zu schreiben. (Lachen). Sie interessieren sich mehr für meine Vergangenheit. Das ist ganz natürlich, denn Sie funktionieren auf einem Gebiet, auf dem immerzu eine Beziehung zwischen Ursache und Wirkung zu spüren ist - daher sind Sie daran interessiert, die Ursache dafür herauszufinden, wie so etwas geschehen konnte. Also sind wir da wieder angelangt, wo wir angefangen haben. Wir befassen uns immer noch mit dem 'Wie'.

Mein Lebenslauf ist ohne Bedeutung, er kann niemandem zum Vorbild dienen, denn jeder Lebenslauf ist einzigartig. Jedes Ereignis in Ihrem Leben ist auf die ihm eigene Weise einzigartig. Ihre Bedingungen, Ihre Umgebung, Ihre Vergangenheit - das alles ist verschieden. Jedes Ereignis in Ihrem Leben ist anders.

F: Ich suche kein Vorbild, das ich dem Rest der Welt zeigen will - ich frage nicht aus diesem Motiv heraus. Wir sehen einen Stern, wir sehen die Sonne, wir sehen den Mond - sie sind wie sie sind. Ich will Sie nicht imitieren. Aber vielleicht ist es relevant, wer weiß. Deshalb habe ich gesagt, hier bin ich Nachiketa: Ich will hier nicht weggehen, bevor ich nicht die Wahrheit von Ihnen erfahren habe.

UG: Sie brauchen einen Yama Dharmaraja, um diese Frage zu beantworten.

F: Wenn Sie nichts dagegen haben, so seien Sie Yama Dharmaraja.

UG: Ich habe nichts dagegen. Helfen Sie mir. Sie sehen, ich bin hilflos. Ich weiß nicht, wo anfangen. Ich weiß nur, wo enden. (Gelächter). Ich glaube, ich werde die ganze Geschichte meines Lebens erzählen müssen.

F: Wir hören gerne zu.

UG: Es kommt nichts.

F: Sie müssen inspiriert werden.

UG: Ich bin nicht inspiriert, und ich bin der letzte, der irgend jemanden inspiriert. Ich werde Ihnen, um Ihre Neugier zu befriedigen, von der anderen Seite, der schäbigen Seite meines Lebens erzählen müssen.

(UG wurde am 9. Juli 1918 in Südindien in eine Brahmanenfamilie der oberen Mittelklasse geboren. Der Familienname war Uppaluri, so wurde ihm der Name Uppaluri Gopala Krishnamurti gegeben. Seine Mutter starb kurz nach seiner Geburt, und er wurde von seinen Großeltern mütterlicherseits in der kleinen Stadt Gudivada in der Nähe von Masulipatam großgezogen.)

Ich wurde in einer sehr religiösen Atmosphäre erzogen. Mein Großvater war ein äußerst kultivierter Mann. Er kannte Mme. Blavatsky (die Gründerin der Theosophischen Gesellschaft) und Olcott und später dann die zweite und dritte Generation der Theosophen. Sie alle kamen zu uns nach Hause. Er war ein großartiger Anwalt, ein sehr reicher Mann, ein sehr kultivierter Mann, und, seltsamerweise, ein sehr orthodoxer Mann. Er war ein Bündel von Gegensätzen - Orthodoxie und Tradition auf der einen Seite und die ganze Theosophie auf der anderen. Es gelang ihm nicht, ein Gleichgewicht zu schaffen. Das war der Anfang meines Problems.

(Es wurde UG oft erzählt, daß seine Mutter, kurz bevor sie starb, gesagt hätte, daß er "für ein unermeßlich großes Schicksal geboren wäre". Sein Großvater nahm das sehr ernst und gab seine Anwaltskanzlei auf, um sich ganz UGs Erziehung zu widmen. Seine Großeltern und deren Freunde waren davon überzeugt, daß er ein Yogabhrashta sei, einer, der in seinem letzten Leben der Erleuchtung sehr nahe gekommen war.)

Er hatte gelehrte Männer eingestellt und setzte sich aus bestimmten Gründen - ich möchte nicht näher auf sie eingehen - voll dafür ein, eine tiefgründige Atmosphäre für mich zu schaffen und mich auf die rechte Weise zu erziehen, inspiriert von den Theosophen. So kamen also jeden Morgen diese Leute, um die Upanishaden, Panchadasi, Nyshkarmya Siddhi, die Kommentare, die Kommentare der Kommentare und alles, was dazugehört, zu lesen, und dieser kleine Junge von fünf, sechs oder sieben Jahren mußte sich diesen ganzen Quatsch anhören. Und zwar soviel davon, daß ich, als ich mein siebtes Jahr erreicht hatte, das meiste davon rezitieren konnte, ganze Passagen aus dem Panchadisi, Nyshkarmya Siddhi usw. Viele der heiligen Männer, vom Ramakrishna Orden und andere, kamen zu uns nach Hause - es wurde für sie alle zum offenen Haus. Aber ich entdeckte, als ich noch ganz jung war, daß sie alle Heuchler waren: sie sagten das eine, glaubten das andere, und ihr Leben war schal und nichtig. Das wurde zum Beginn meiner Suche.

Mein Großvater pflegte zu meditieren. (Er ist tot, und ich will nichts Schlechtes über ihn sagen.) Er meditierte für gewöhnlich ein oder zwei Stunden lang in einem separaten Meditationsraum. Eines Tages fing ein kleines Kind von anderthalb oder zwei Jahren aus irgendeinem Grund zu schreien an. Der Mann kam herunter und begann das Kind zu verprügeln, bis es fast blau anlief; sehen Sie, und dieser Mann meditierte jeden Tag zwei Stunden lang. "Schau dir das an, was hat er nur getan?" - Das wurde für mich zu einer Art traumatischer Erfahrung (obwohl ich diesen psychologischen Terminus nicht gerne benutze, ist er doch der passende). "Da kann doch etwas nicht stimmen mit dieser ganzen Meditiererei. Das Leben dieser Menschen ist seicht und leer. Sie können wunderbar reden, sie drücken die Dinge auf eine sehr schöne Art aus, aber was ist mit ihrem Leben? In ihrem Leben herrscht diese neurotische Angst: sie sagen Dinge, die alle in ihrem Leben nicht wirksam werden. Was stimmt nicht mit ihnen?" - nicht, daß ich über diese Menschen geurteilt hätte.

So ging es immer weiter, und ich interessierte mich für diese Dinge: "Ist etwas daran an dem, was sie erklären - der Buddha, Jesus, die großen Lehrer? Jeder redet von Moksha, Befreiung, Freiheit. Was ist das? Ich will es selbst wissen. Sie sind alle ohne Nutzen für mich, aber irgendwo auf dieser Welt muß es doch einen Menschen geben, der die Verkörperung und der Apostel all dieser Dinge ist. Wenn es ihn gibt, dann will ich auch es selbst herausfinden."

Dann ist so vieles passiert. Damals gab es einen Mann mit Namen Sivananda Saraswati - er war der Evangelist des Hinduismus. Im Alter von vierzehn bis einundzwanzig (viele der unerheblichen Ereignisse lasse ich aus) ging ich sehr oft zu ihm, um ihn zu sehen, und ich machte alles mit, auch die Kasteiungen. Ich war noch so jung, aber ich war fest entschlossen herauszufinden, ob es so etwas wie Moksha gäbe, und dieses Moksha wollte ich für mich selbst haben. Ich wollte mir selbst und allen anderen beweisen, daß in solchen Menschen keine Heuchelei bestehen könne - "Sie sind alle Heuchler" - also übte ich Yoga, praktizierte Meditation und studierte alles. Ich machte jede Erfahrung, über die die Bücher schreiben - Samadhi, Super-Samadhi, Nirvikalpa-Samadhi, alles. Dann sagte ich mir selbst: "Das Denken kann jede Erfahrung schaffen, die man will - Wonne, Seligkeit, das Hinschmelzen ins Nichts - alle diese Erfahrungen. Also kann es das nicht sein, denn ich bin noch dieselbe Person und tue diese Dinge nur mechanisch. Meditationen haben keinen Wert für mich. Das führt mich nirgendwohin."

Dann wurde Sex für mich als jungen Mann zu einem gewaltigen Problem: "Das ist etwas Natürliches, ein biologisches Ding, ein Verlangen im menschlichen Körper. Warum wollen denn diese Menschen nur alle den Sex verleugnen und so etwas ganz Natürliches unterdrücken, etwas, das Teil des Ganzen ist, um etwas anderes dafür zu bekommen? Er ist für mich wirklicher und wichtiger als Moksha, Befreiung und all das. Die Realität sieht so aus: ich denke an Göttinnen und Götter und habe nächtliche Samenergüsse. Warum sollte ich mich schuldig fühlen? Es ist etwas Natürliches. Über solche Geschehnisse habe ich keine Kontrolle. Meditation hat mir nicht geholfen, das Studieren hat mir nicht geholfen, alle Disziplin hat nicht geholfen. Ich rühre kein Salz an. Ich rühre keine Chillies oder sonstige Gewürze an." Dann fand ich eines Tages diesen Mann Sivananda, wie er hinter verschlossenen Türen Mango-Pickles aß. "Da ist ein Mann, der sich alles versagt hat, in der Hoffnung, etwas dafür zu bekommen, aber dieser Bursche kann sich nicht beherrschen. Er ist ein Heuchler" - ich will nichts Schlechtes über ihn sagen - "Diese Art Leben ist nichts für mich".

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F: Sie sagen, Sie hätten zwischen vierzehn und einundzwanzig ein großes Verlangen nach Sex empfunden. Haben Sie dann geheiratet?

UG: Nein, ich hatte es nicht eilig damit. Ich wollte diesen Sexualtrieb kennenlernen: "Angenommen, du tust gar nichts, was geschieht dann?" Ich wollte diese ganze Angelegenheit verstehen: "Warum will ich dieser Selbsterotik frönen? Ich weiß gar nichts über Sex, wieso kommt es dann, daß ich alle möglichen Vorstellungen davon habe?" Das war meine Suche, das war meine Meditation; nicht das Sitzen in der Lotushaltung oder das auf-dem-Kopfe-stehen. "Wie ist es mir möglich, diese Vorstellungen zu bilden?" Ich ging niemals ins Kino, ich schaute mir niemals diese Plakate an; sie haben alle möglichen Plakate. "Wie geht das? Das ist etwas, das von innen kommt, es ist nicht von außen hereingebracht. Die Stimulation kommt von außen. Aber da gibt es eine andere Stimulation, die von innen kommt, und die ist mir wichtiger. Ich kann diese ganzen externen Stimulationen erfolgreich ausschalten, aber wie kann ich das gleiche mit denen tun, die von innen kommen?" Das wollte ich herausfinden.

Dann war ich natürlich daran interessiert herauszufinden, was diese sexuelle Erfahrung war. Obwohl ich noch keinen Sex gehabt hatte, schien ich doch zu wissen, wie diese sexuelle Erfahrung aussah. So ging das weiter und weiter. Nicht, daß ich es eilig gehabt hätte, Sex mit einer Frau zu haben. Ich ließ es zu, daß die Dinge ihren eigenen Lauf nahmen. Zu dieser Zeit wollte ich nicht heiraten. Mein Ziel war es, ein Asket, ein Mönch oder so etwas zu werden - keine Heirat - aber die Dinge nahmen ihren Lauf, und ich sagte mir: "Wenn es darum geht, deinen Sexualtrieb zu befriedigen, warum heiratest du dann nicht? Dafür ist die Gesellschaft da. Warum solltest du zu irgendeiner Frau gehen, um Sex zu haben? Du kannst dem in der Ehe seinen natürlichen Ausdruck geben."

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Mit einundzwanzig war ich an einem Punkt angekommen, wo ich das starke Gefühl hatte, daß all die Lehrer - der Buddha, Jesus, Sri Ramakrishna, sie alle - sich nur etwas vorgemacht hatten, daß sie Selbsttäuschungen erlegen waren und auch alle anderen täuschten. Das konnte es doch nicht sein. "Wo ist dieser Zustand, über den die Menschen sprechen und den sie beschreiben? Diese Beschreibung scheint weder eine Beziehung zu mir aufzuweisen, noch zu der Art und Weise, wie ich funktioniere. Jeder sagt: "Werde nicht zornig" - ich bin die ganze Zeit über zornig: in meinem Inneren bin ich voller brutaler Aktivitäten. Also ist das falsch. Was mir diese Leute sagen, wie ich zu sein hätte, ist etwas Falsches, und weil es falsch ist, wird es mich verfälschen. Ich will nicht das Leben eines falschen Menschen führen. Ich bin habgierig, und sie reden über die Bescheidenheit. Irgendwo stimmt da doch etwas nicht. Diese Habgier ist für mich etwas Reales, etwas Natürliches; worüber sie sprechen ist unnatürlich. Also, das stimmt doch nicht. Aber ich bin nicht bereit, mich, um eines Zustandes der Nicht-Habgier willens, zu ändern und zu verfälschen. Meine Gier ist eine Realität für mich." Ich lebte inmitten von Menschen, die ewig über diese Dinge sprachen - jeder war falsch, das kann ich Ihnen sagen. Irgendwann also wurde mein Organismus von einem "existentialistischen Brechreiz" befallen (ich nannte das damals nicht so; jetzt kenne ich diesen Ausdruck - ein Widerwillen gegen alles Geheiligte und Altehrwürdige), und er entledigte sich all dessen: "Keine Slokas mehr, keine Religion, keine Übungen - aus dieser Richtung kommt nichts; was aber hier ist, ist etwas Natürliches. Ich bin brutal, ein Monster, ich bin voller Gewalttätigkeit - das ist die Realität. Ich bin voller Begierden. Begierdelosigkeit, Bescheidenheit, Sanftmut - diese Dinge sagen mir nichts; sie sind falsch, und sie sind nicht nur falsch, sie verfälschen auch mich." Also sagte ich mir: "Mit dieser ganzen Angelegenheit bin ich fertig". Aber, sehen Sie, so einfach ist das nicht.

Dann traf ich einen, mit dem ich über all diese Dinge diskutierte. Er fand in mir praktisch einen Atheisten (aber keinen praktizierenden Atheisten), einen Skeptiker und Häretiker von Grund auf. Er sagte: "Hier irgendwo in Madras, in Tiruvannamalai, gibt es einen Mann namens Ramana Maharshi. Laß uns zu diesem Mann gehen. Er ist die lebendige menschliche Verkörperung der Hindutradition".

Ich wollte gar keinen heiligen Mann sehen. Wenn man einen gesehen hat, hat man sie alle gesehen. Ich bin niemals auf Gurusuche gegangen, noch setzte ich mich zu Füßen der Meister, um etwas zu lernen, denn sie alle sagen dir: "Tu immer mehr von der gleichen Sache, und du wirst es erhalten." Was ich bekam, waren mehr und mehr Erfahrungen, aber diese Erfahrungen verlangten dann nach Fortbestand - und so etwas wie Permanenz gibt es nicht. Also: "Die heiligen Männer sind allesamt Scharlatane. Sie erzählen nur, was sowieso in den Büchern steht. Das kann ich selber lesen - 'Tu immer wieder das gleiche Ding' - das will ich nicht. Erfahrungen will ich nicht. Sie versuchen, eine Erfahrung mit mir zu teilen. Ich bin nicht interessiert an Erfahrungen. Was das anbetrifft, so besteht für mich kein Unterschied zwischen einer religiösen, einer sexuellen oder sonst einer Erfahrung. Eine religiöse Erfahrung ist wie jede andere auch. Es interessiert mich nicht, Brahman zu erleben; ich bin nicht daran interessiert, die Realität zu erfahren, ich bin nicht daran interessiert, die Wahrheit zu erfahren. Vielleicht können sie anderen helfen. Mir aber können sie nicht helfen. Ich bin nicht daran interessiert, immer mehr vom Gleichen zu tun. Was ich getan habe, ist genug. Wenn man in der Schule ein mathematisches Problem zu lösen hat, wiederholt man es immer wieder - man löst das mathematische Problem und entdeckt schließlich, daß die Antwort im Problem liegt. Was aber zum Teufel machst du - versuchst du etwa, das Problem zu lösen? Es ist einfacher, zuerst die Antwort zu finden, als durch all das hindurch zu müssen.

Also ging ich widerstrebend, zögernd und unwillig, Ramana Maharshi zu sehen. Dieser Mann schleppte mich dorthin. Er sagte: "Geh einmal dahin. Es wird etwas mit dir geschehen!" Er redete darüber und gab mir ein Buch: 'A Search in Secret India' von Paul Brunton, also las ich das Kapitel, das sich auf diesen Mann bezog. "Gut, ich habe nichts dagegen, ich werde gehen und mir das ansehen." Der Mann saß da. Allein schon durch seine Gegenwart spürte ich: "Was, dieser Mann - wie sollte der mir helfen können? Dieser Mann, der Comics liest, Gemüse schneidet und mit allerlei Dingen herumtändelt - wie sollte dieser Mann mir helfen können? Er kann mir nicht helfen." Ich setzte mich trotzdem hin. Nichts geschah. Er sah mich an, und ich sah ihn an. "In seiner Gegenwart wirst du still, deine Fragen verschwinden; sein Blick verändert dich..." - das blieb für mich nur ein Märchen, Phantasterei. Ich saß da. In mir waren eine Menge Fragen, törichte Fragen. Also: "die Fragen sind nicht verschwunden. Ich sitze seit zwei Stunden hier, aber die Fragen habe ich immer noch. Gut, ich werde ihn etwas fragen" - denn damals wollte ich unbedingt Moksha erreichen. Das war Teil meiner spirituellen Vergangenheit, Moksha, und das wollte ich haben. "Sie sind angeblich ein 'befreiter' Mann" - das habe ich nicht gesagt. Aber ich stellte ihm diese Frage: "Können Sie mir geben, was Sie haben?" Der Mann antwortete nicht, so daß ich, nachdem einige Zeit vergangen war, meine Frage wiederholte. "Ich frage, können Sie mir das, was Sie haben, auch geben? Er antwortete: "Ich kann es geben, aber kannst du es nehmen?" Junge! Jetzt sagt dieser Mann zum erstenmal, daß er es hat und daß ich es nicht annehmen kann. Niemand zuvor hat je gesagt: "Ich kann es dir geben, nur dieser Mann sagt: "Ich kann es dir geben, aber kannst du es auch nehmen?" Da sagte ich zu mir selbst: "Wenn es einen Menschen auf dieser Welt gibt, der es annehmen kann, dann bin ich das, denn ich habe so viel Sadhana gemacht, sieben Jahre Sadhana. Er mag denken, daß ich es nicht kann, aber ich kann es nehmen. Wenn ich es nicht kann, wer denn sonst? - so sah damals mein Gemütszustand aus - ich war sehr von mir selbst überzeugt.

Ich blieb nicht bei ihm, ich las keines seiner Bücher, aber ich stellte ihm noch ein paar Fragen: "Kann man manchmal frei und manchmal nicht frei sein?" Er antwortete: "Entweder du bist frei, oder du bist überhaupt nicht frei." Da war noch eine Frage, an die ich mich aber nicht erinnere. Er antwortet auf eine sehr seltsame Art: "Es gibt keine Stufen, die dich dahin führen." Aber ich ignorierte all diese Dinge. Die Fragen waren mir egal, und die Antworten interessierten mich überhaupt nicht.

Aber diese Frage: "Kannst du es auch nehmen?"... "Wie arrogant er ist" - das war mein Gefühl. "Warum kann ich das, was immer es ist, nicht annehmen? Was ist es denn, das er hat?" - das war meine Frage, eine natürliche Frage. Die Frage formulierte sich demnach so: "Was ist das für ein Zustand, in dem sich all diese Menschen - Buddha, Jesus und die ganze Schar - befanden? Ramana ist in diesem Zustand - angeblich zumindest, ich weiß es nicht - aber dieser Bursche ist doch wie ich, ein menschliches Wesen. Inwiefern ist er denn von mir verschieden? Was ist denn anders an ihm? Was andere sagen oder was er sagt, das ist für mich ohne Bedeutung; was er tut, kann ein jeder. Was ist denn da? Er kann doch nicht viel anders sein als ich. Er ist doch auch nur von Eltern geboren. Er hat seine ureigenen Ideen über die ganze Geschichte. Es gibt Leute, die sagen, ihm sei etwas Besonderes widerfahren, aber inwiefern ist er von mir verschieden? Was ist denn dort: Was ist dieser Zustand?" - das war meine fundamentale Frage, die hinter allem stand und die sich immer wiederholte. "Ich muß herausfinden, was dieser Zustand ist. Niemand kann diesen Zustand geben. Ich bin vollkommen auf mich selbst angewiesen. Ich werde mich ohne einen Kompaß, ohne ein Boot auf diese unermeßliche See hinauswagen müssen, sogar ohne ein Floß, das mich aufnehmen kann. Ich werde für mich selbst herausfinden, was das für ein Zustand ist, in dem sich dieser Mann befindet." Ich wollte es so sehr, sonst hätte ich nicht mein Leben dafür gegeben.

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F: Diese Sache mit dem Geben und dem Nehmen verstehe ich nicht.

UG: Ich kann nicht sagen, was er meinte, als er sagte: "Ich kann es geben, aber kannst du es nehmen?" Aber es half mir gewissermaßen, meine eigene Frage zu formulieren. Sehen Sie, wenn mir jetzt jemand eine ähnliche Frage stellen würde, so würde ich antworten, daß es nichts gibt, was man von irgend jemandem bekommen könnte. Wer bin ich, daß ich es dir geben könnte? Du hast, was ich habe. Wir sind alle in der Sannidhi Street Nr. 25, und Sie fragen mich: "Wo ist die Sannidhi Street Nr. 25?" Ich sage: "Sie sind da!" Nicht, daß ich wüßte, daß ich da bin. Dieses Wissenwollen, wo Sie sind - Sie stellen diese Frage.

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(UG sagt, daß er weder Ramana noch einen anderen dieser 'religiösen Leute' je wieder besucht hat und auch nie wieder ein religiöses Buch angerührt habe, außer um für sein Philosophieexamen zu lernen.)

Dann begann meine wirkliche Suche. Meine ganze religiöse Vergangenheit war in mir. Ich fing an zu forschen. Einige Jahre studierte ich (östliche und westliche) Philosophie, Psychologie und Mystizismus, die modernen Naturwissenschaften, alles; das gesamte Gebiet menschlichen Wissens suchte ich selbst zu erforschen. Die Suche ging weiter und weiter. "Was ist dieser Zustand?" war meine Frage, und diese Frage hatte eine ihr eigene Intensität. "All dieses Wissen befriedigt mich nicht. Warum soll ich das alles lesen?" Psychologie war eines der Fächer für mein Master's Degree - unglücklicherweise - damals war es Teil unseres Lehrplans. Ich war aus dem einfachen Grund an Psychologie interessiert, weil der Verstand mich schon immer verblüfft hat. Was ist dieser Verstand? Ich will etwas darüber wissen. Hier in mir sehe ich nichts, aber all diese Bücher schreiben darüber. Laßt mich sehen, was all diese westlichen Psychologen über den Verstand zu sagen haben." Eines Tages fragte ich meinen Professor: "Wir reden die ganze Zeit über den Verstand. Wissen Sie selbst, was der Verstand ist? Wir studieren all diese Bücher - Freud, Jung, Adler und die ganze Schar. Ich kenne das ganze Zeug - ich habe die Definitionen und Beschreibungen gelesen, die in den Büchern stehen - aber wissen Sie selbst etwas darüber?" Er sagte: "Stellen Sie keine so unbequemen Fragen (Gelächter). Das sind gefährliche Fragen. Wenn Sie Ihr Examen bestehen wollen, dann machen Sie sich Notizen, lernen Sie sie gut, und wiederholen Sie das in Ihrem Fragebogen - dann werden Sie Ihren Grad erhalten." "Ich bin nicht an einem Titel interessiert; ich interessiere mich dafür, herauszufinden, was der Verstand ist."

(Sein Großvater starb, und UG verließ die Universität von Madras ohne Abschluß. 1943 hat er geheiratet.)

Meine Lebensumstände brachten mich dann mit der Theosophischen Gesellschaft in Verbindung. Von meinem Großvater erbte ich die Theosophische Gesellschaft, Jiddu Krishnamurti und eine Menge Geld. Das machte es leicht für mich, es war genügend Geld vorhanden: fünfzig- oder sechzigtausend Dollar, das war damals sehr viel Geld - so konnte ich all diese Dinge tun. Ich wurde der Referent der Gesellschaft (und schließlich wurde UG zum Generalsekretär der Gesellschaft in Indien ernannt) - aber mit dem Herzen war ich nicht dabei. "Das sind doch alles nur Informationen aus zweiter Hand. Was sollen diese Vorträge denn für einen Sinn haben?" Damals war ich ein sehr guter Redner, heute bin ich das nicht mehr. Ich war ein erstklassiger Redner, der überall, vor jedem Forum, Vorträge hielt. Ich redete vor jeder Universität Indiens. "Das hat keine Realität für mich. Jeder, der ein Gehirn hat, kann diese Art Information sammeln und dann auswerfen. Was tue ich nur? Warum vergeude ich meine Zeit? Das ist nicht meine Art zu leben, und es ist auch nicht der rechte Lebensunterhalt für mich. Wenn es deine Art Leben ist, gut, dann kann ich das verstehen, du plapperst alles nach wie ein Papagei und lebst davon, aber mein Leben ist das nicht. Und doch, da ist etwas, an dem ich interessiert bin. Ich interessiere mich für diese Art von Dingen."

Dann, (in den späten vierziger Jahren und gegen Ende von UGs Zeit mit der Theosophischen Gesellschaft) erschien J. Krishnamurti auf der Bildfläche. Er war gerade aus den Vereinigten Staaten zurückgekehrt und startete seine neue Art...

F: Sind Sie mit Krishnamurti verwandt?

UG: Krishnamurti ist nur ein Vorname, kein Familienname. Sein Nachname ist Jiddu. Krishnamurti ist ein sehr häufiger Name. Jiddu Krishnamurti.

Jedesmal, wenn er kam, hörte ich ihm zu, ungefähr sieben Jahre lang. Ich traf ihn nie persönlich, denn durch diese ganze 'Weltlehrer'-Affaire wurde eine Art Distanz geschaffen. "Wie kann ein Weltlehrer geschaffen werden? Weltlehrer werden geboren, nicht gemacht" - so dachte ich darüber. Ich kannte die Hintergründe der ganzen Geschichte. Ich gehörte nicht zum inneren Kreis, ich war immer an der Peripherie, ich wollte mich nie beteiligen. Auch dort herrschte die gleiche Heuchelei in dem Sinne, daß da nichts war in ihrem Leben - die Scholaren, die Masterminds und die bemerkenswerten Leute - sie waren schal. "Was ist das? Was steckt dahinter?"

Nach sieben Jahren brachten die Umstände es dann mit sich, daß Krishnamurti und ich zusammenkamen. Ich traf ihn jeden Tag. Wir diskutierten die ganze Angelegenheit. Ich war an seinen Abstraktionen nicht interessiert. Seine Lehre interessierte mich überhaupt nicht. Einmal sagte ich zu ihm: "Sie haben den modischen psychologischen Jargon angenommen und versuchen durch ihn etwas auszudrücken. Sie haben die Analyse adoptiert und kommen zu dem Schluß, daß die Analyse doch nicht das Richtige ist. Diese Art Analyse lähmt die Menschen nur. Sie hilft ihnen nicht. Sie lähmt mich." Ich hatte immer noch dieselbe Frage : "Was ist es, was Sie haben? An den Abstraktionen, die Sie mir hinwerfen, bin ich nicht interessiert. Gibt es da irgend etwas hinter diesen Abstraktionen? Was ist es? Irgendwie habe ich das Gefühl - ich weiß nicht warum - daß es das ist, was mich interessieren würde - das, was hinter den Abstraktionen steht, die Sie auswerfen. Aus irgendeinem Grund habe ich das Gefühl - und das ist möglicherweise meine eigene Projektion - daß Sie (um ein bekanntes traditionelles Gleichnis zu geben) - vielleicht nicht vom Zucker gekostet, ihn aber doch wenigstens gesehen haben. Die Art und Weise, wie Sie die Dinge beschreiben, gibt mir das Gefühl, daß Sie zumindest den Zucker gesehen haben; ich bin mir aber nicht sicher, ob Sie ihn auch gekostet haben." So stritten wir Jahr um Jahr (lacht). Es gab persönliche Differenzen zwischen uns. Ich wollte aufrechte, ehrliche Antworten von ihm haben, die er mir aus Gründen, die nur er kennt, nicht gab. Er war sehr defensiv - er verteidigte etwas. "Was gibt es da für Sie zu verteidigen? Hängen Sie Ihre Vergangenheit, das ganze Ding, an einen Baum und überlassen Sie das den Leuten. Warum wollen Sie sich verteidigen?" Ich wollte ein paar aufrechte, ehrliche Antworten über seinen Lebenshintergrund, die er mir nicht in zufriedenstellender Weise gab. Schließlich dann, dem Ende zu, insistierte ich: "Sagen Sie schon, liegt es irgendwo hinter diesen Abstraktionen, mit denen Sie mich eindecken?" Daraufhin sagte der Mann zu mir: "Es gibt keine Möglichkeit für Sie, das für sich selbst zu erfahren." Aus - das war das Ende unserer Beziehung, sehen Sie - "Wenn ich es nicht wissen kann, dann gibt es auch keine Möglichkeit, daß Sie es kommunizieren können. Was zum Teufel tun wir denn? Ich habe sieben Jahre vergeudet. Good-bye, ich möchte Sie nicht wiedersehen." Dann ging ich.

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(Ungefähr zur selben Zeit wurde UG durch das Erscheinen bestimmter psychischer Kräfte verunsichert.)

Vor meinem neunundvierzigsten Lebensjahr besaß ich so viele Fähigkeiten und Kenntnisse, denen ich aber keinerlei Aufmerksamkeit widmete. Wenn ich einen Menschen traf, konnte ich im selben Moment dessen gesamte Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sehen, ohne daß er auch nur irgend etwas gesagt hätte. Ich nutzte diese Kräfte nicht, sie erstaunten mich nur - "Warum besitze ich diese Fähigkeit?" Manchmal sagte ich Dinge, und immer geschahen sie. Obwohl ich es versuchte, gelang es mir nicht, den Mechanismus von all dem herauszufinden: "Wie ist es mir möglich, so etwas zu sagen?" Es trat immer ein. Ich schenkte dem keine Aufmerksamkeit. Dann hatte das unangenehme Konsequenzen und brachte manchen Menschen Leid.

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(UG reiste weiter durch die Welt und hielt Vorträge. 1955 zog er mit Frau und vier Kindern in die USA, um dort die Kinderlähmung seines ältesten Sohnes behandeln zu lassen. 1961 war sein Geld zu Ende, und er fühlte den Beginn eines großen Umbruchs in sich, den er nicht kontrollieren konnte und wollte und der sechs Jahre anhalten sollte, um mit der 'Kalamität' zu enden (so nennt er seinen Eintritt in den 'natürlichen Zustand'). Seine Ehe zerbrach. Er setzte seine Familie in ein Flugzeug nach Indien und ging nach London. Er besaß keinen Pfennig mehr und begann, in der Stadt umherzustreifen. Drei Jahre lang lebte er müßig auf der Straße. Seine Freunde dachten, es ginge nun Hals über Kopf abwärts mit ihm; aber er sagt, daß ihm sein Leben damals vollkommen natürlich vorgekommen sei. Später sollten religiös gesinnte Menschen diese Jahre mit den Worten der Mystiker von der 'dunklen Nacht der Seele' beschreiben, aber es gab da, in seinen eigenen Worten, "kein heroisches Gefecht mit der Versuchung und der Weltlichkeit, kein Seelenringen mit den Trieben, keine poetischen Höhepunkte, sondern nur ein einfaches Hinschwinden des Willens". )

Danach war es so, als hätte ich keinen Kopf mehr: "Wo ist mein Kopf? Habe ich einen Kopf oder nicht? Mein Kopf scheint nicht da zu sein. Woher kommen diese Gedanken?"- das war meine Frage. Der Kopf war abwesend, und nur der übrige Körper bewegte sich umher. Es gab keinen Willen auch nur irgend etwas zu tun: es war, als würde ein Blatt im Winde von hier nach dort geweht, überallhin - es war ein schäbiges Leben. Und es ging immer so weiter... Schließlich - ich weiß nicht, was geschah - eines Tages sagte ich mir: "So ein Leben ist nicht gut." Ich war praktisch ein Penner, der von der Wohltätigkeit einiger Menschen lebte und von nichts eine Ahnung hatte. Da war kein Wille - ich wußte nicht, was ich tat - ich war praktisch geisteskrank. Ich wanderte durch die Straßen Londons - ich hatte keinen Ort, an dem ich bleiben konnte - in den Nächten lief ich durch die Stadt. Die Polizisten hielten mich oft an: "Hast du keinen festen Wohnsitz? Wir nehmen dich mit auf die Wache!" Also, diese Art Leben führte ich. Tagsüber setzte ich mich in das Britische Museum, sonst hätten sie mir Strafzettel gegeben. Was sollte ich im Britischen Museum lesen? Fürs Lesen interessierte ich mich überhaupt nicht. Kein Buch interessierte mich - aber ich tat so, als wäre ich da, um etwas zu lesen. Ich nahm mir für gewöhnlich einen Thesaurus mit dem Slang der Unterwelt. Für eine Weile las ich das, um den Tag herumzubringen. Nachts ging ich irgendwo hin. So ging das immer weiter.

Eines Tages saß ich im Hyde Park. Ein Polizist kam und sagte: "Hier kannst du nicht bleiben! Wir werden dich hinauswerfen." Wohin sollte ich gehen? Was sollte ich tun? Kein Geld - ich glaube, ich hatte fünf Pence in meiner Tasche. Da kam mir der Gedanke: "Geh zur Ramakrishna-Mission". Das war alles, nur dieser Gedanke, der von irgendwoher auftauchte, vielleicht war es auch meine eigene Projektion. Ich konnte nirgendwo anders hin, als nur auf der Straße herumzulaufen, und dieser Kerl war hinter mir her, also nahm ich die 'Tube' bis zu einem Punkt, wo es nicht mehr weiterging. Von dort lief ich bis zur Mission, um den Swami zu sehen. Sie sagten: "Du kannst ihn jetzt nicht sehen. Es ist zehn Uhr abends. Er wird dich nicht empfangen, er empfängt niemanden." Ich sagte dem Sekretär, ich müsse ihn sehen. Und irgendwie kam er dann. Ich legte ihm meinen Ordner mit den Zeitungsausschnitten vor. Das war ich - meine Vorträge, die Kommentare der New York Times dazu, meine Vergangenheit. Irgendwie hatte ich dieses Buch behalten, das mein Manager in Amerika zusammengestellt hatte. "Das war ich, und das bin ich jetzt." Dann sagte er: "Was wollen Sie?" Ich sagte: "Ich will in den Meditationsraum und dort die ganze Nacht über sitzen." Er sagte: "Das geht nicht. Wir haben eine Regel, die besagt, daß niemand nach acht Uhr den Meditationsraum benutzen darf." Darauf ich: "Dann weiß ich nicht, wo ich hin soll." Er: "Ich werde ein Zimmer für Sie vorbereiten lassen. Gehen Sie heute in ein Hotel, und kommen Sie morgen zurück." Also ging ich in ein Hotel. Am nächsten Mittag ging ich müde dahin. Sie aßen. Sie gaben mir Lunch. Zum erstenmal hatte ich ein richtiges Essen. Ich hatte sogar den Appetit nach Nahrung verloren. Ich wußte nicht mehr, was Hunger oder Durst waren.

Nach dem Lunch rief mich der Swami zu sich und sagte: "Ich suche einen Mann genau wie Sie. Mein Assistent, der die verlegerische Arbeit gemacht hat, ist psychisch krank, er mußte ins Hospital gebracht werden. Ich muß diese Vivekananda Jubiläumsausgabe herausbringen. Sie kamen gerade im richtigen Moment. Sie können mir helfen". Ich sagte. "Ich kann nicht schreiben. Vielleicht habe ich damals etwas veröffentlicht, aber jetzt kann ich gar nichts. Ich bin am Ende. Ich kann Ihnen in dieser Richtung nicht helfen." Er sagte: "Nein, nein, nein, zusammen können wir etwas tun!" Er brauchte dringend jemanden mit einer Vorbildung in indischer Philosophie und dergleichen. Er hätte jeden haben können, den er wollte, aber er sagte: "Nein, nein, nein, alles ist gut. Ruhen Sie sich einige Tage aus, bleiben Sie hier, wir werden für Sie sorgen." Ich sagte: "Ich kann keine literarische Arbeit machen. Geben Sie mir ein Zimmer, und ich wasche das Geschirr ab, aber zu dieser Art Arbeit bin ich absolut unfähig." Er sagte: "Nein, nein, nein, ich will das." Also versuchte ich etwas zu tun; es war nicht zu seiner Zufriedenheit und nicht zu meiner, aber irgendwie brachten wir zusammen diese Ausgabe heraus.

Er gab mir auch Geld, fünf Pfund, so wie all den anderen Swamis. Zum erstenmal seit langem hatte ich fünf Pfund zum Ausgeben. "Was mache ich damit?" Ich hatte jedes Gefühl für den Wert des Geldes verloren, weil ich kein Geld besaß. Es gab eine Zeit, in der ich einen Scheck über hunderttausend Rupien ausstellen konnte, dann eine Zeitlang nicht einmal eine Paisa, und jetzt - fünf Pfund. "Was soll ich damit anfangen?" Ich beschloß, mit diesem Geld ins Kino zu gehen und mir jeden Film in London anzusehen. Ich blieb in der Mission und arbeitete gewöhnlich bis Mittag, aß dort um ein Uhr und ging dann ins Kino. Schließlich gab es keine Filme mehr, die ich noch nicht kannte. In den Vororten zeigten sie drei Filme für einen Schilling, oder so ähnlich, so konsumierte ich alle Filme und das ganze Geld.

Wenn ich dort im Meditationsraum saß, wunderte ich mich über die Leute, die dort meditierten. "Warum machen sie nur all diese törichten Sachen?" Zu dieser Zeit war das Ganze nicht mehr in meinem Organismus vorhanden. Aber in diesem Meditationszentrum machte ich eine sehr merkwürdige Erfahrung. Was immer es war - vielleicht meine eigene Projektion - aber es war so: zum erstenmal fühlte ich ein eigenartiges... - ich saß da, tat nichts, sah diese Menschen an, die mir leid taten. "Diese Leute sitzen da und meditieren. Warum sind sie nur hinter Samadhi her? Sie werden gar nichts bekommen - ich habe das alles durchgemacht - sie machen sich nur selbst etwas vor. Was kann ich tun, um sie davon abzuhalten, ihr ganzes Leben mit solchen Dingen zu vertun? Das wird sie nirgendwohin bringen." Ich saß da - da war nichts, nur Leere - als ich etwas sehr Seltsames fühlte: innerhalb meines Körpers gab es eine Art Bewegung. Plötzlich spürte ich, daß sich etwas bewegte: irgendeine Energie kam aus dem Penis und durch diesen Kopf, als ob da ein Loch wäre. Es bewegte sich in Kreisen, zuerst im Uhrzeigersinn, dann entgegengesetzt: es war wie die Wills Zigarettenreklame im Flughafen. Das kam mir sehr merkwürdig vor, aber ich bezog es nicht auf irgend etwas. Ich war ein Mann, der am Ende war. Jemand gab mir zu essen, jemand sorgte für mich, es gab keinen Gedanken an den nächsten Tag, doch in meinem Innern war dieses: "Das ist eine perverse Art zu leben. Das ist die äußerste Perversität. So etwas gibt es doch gar nicht..." Aber der Kopf fehlte doch, was konnte ich tun? Nach drei Monaten sagte ich: "Ich gehe jetzt. Ich kann das nicht." Gegen Ende gab mir der Swami noch etwas Geld, vierzig oder fünfzig Pfund. Da beschloß ich...

Sehen Sie, ich hatte immer noch mein Rückflugticket nach Indien, also flog ich nach Paris, gab dort das Ticket zurück und bekam so ein bißchen Geld, denn es war in Dollar bezahlt worden. Ich glaube, zusammen mit den fünfunddreißig Pfund hatte ich jetzt einhundertfünfzig Pfund. Drei Monate lang lebte ich in einem Hotel in Paris und wanderte wie zuvor durch die Stadt. Der einzige Unterschied bestand darin, daß ich jetzt etwas Geld in der Tasche hatte. Aber langsam schwand das Geld dahin. Nach drei Monaten entschied ich, daß ich nun fort müsse, aber ich sträubte mich dagegen, nach Indien zurückzugehen. Irgendwie wollte ich nicht nach Indien. Ich hatte Angst davor, nach Indien zurückzukehren, weil meine Frau und meine Kinder - und das würde die Dinge komplizieren - alle zu mir kommen würden. Ich wollte partout nicht gehen; ich wehrte mich dagegen. Schließlich... ich hatte jahrelang ein Bankkonto in der Schweiz gehabt - ich nahm an, daß ich dort noch Geld liegen hatte. Der letzte Ausweg bestand nun darin, in die Schweiz zu fahren, das Geld abzuheben und dann zu sehen, was passiert. Ich verließ also das Hotel, nahm mir ein Taxi und sagte: "Fahren Sie mich zum Gare de Lyon." Aber die Züge nach Zürich, wo ich mein Konto hatte, fahren vom Gare de l'Est ab. Ich weiß also nicht, warum ich ihm sagte, er solle mich zum Gare de Lyon fahren. So setzte er mich am Gare de Lyon ab, und ich stieg in den Zug nach Genf.

Ich kam mit einer Barschaft von etwa einhundertfünfzig Francs in Genf an. Ich wohnte weiterhin in einem Hotel, obwohl ich kein Geld hatte, die Rechnung zu bezahlen. Nach zwei Wochen wurde mir die Rechnung präsentiert: "Wo bleibt unser Geld?" Ich hatte kein Geld. Das einzige, was mir zu tun übrigblieb, war, in die indische Botschaft zu gehen und zu sagen: "Schicken Sie mich nach Indien. Sie sehen, ich bin am Ende." So war auch der Widerstand, nach Indien zurückzugehen, beendet; ich ging zum Konsulat und zeigte ihnen meinen Ordner mit den Zeitungsausschnitten: "Einer der brillantesten Redner, die Indien je hervorgebracht hat" und mit den Besprechungen von Norman Cousins und Radhakrishnan über meine Fähigkeiten. Der Vizekonsul sagte: "Wir können doch einen solchen Mann nicht auf Kosten der indischen Regierung nach Indien schicken, was glauben Sie denn? Versuchen Sie, sich aus Indien Geld schicken zu lassen. In der Zwischenzeit können Sie bei mir wohnen." Sehen Sie, so ging das immer weiter. Dort traf ich dann diese schweizer Dame (Valentine de Kerven). Sie war die Übersetzerin im indischen Konsulat, nur an diesem Tag war sie zufälligerweise am Empfang, weil die Empfangsdame nicht gekommen war, oder so etwas. Wir fingen an, uns zu unterhalten, und dann wurden wir enge Freunde. Sie sagte: "Wenn Sie hierbleiben möchten, dann kann ich es so arrangieren, daß Sie bleiben dürfen. Wenn Sie nicht nach Indien wollen, dann gehen Sie nicht." Nach einem Monat schickte mich das Konsulat weg, aber wir schafften es irgendwie - sie schuf für mich ein Heim in der Schweiz. Sie gab ihren Job auf. Sie ist nicht reich, sie hat nur ihre kleine Pension, aber wir können davon leben.

Dann gingen wir nach Saanen. Dieser Ort hat eine bestimmte Bedeutung für mich. Als ich 1953 durch diese Gegend fuhr und den Ort Saanen sah, da sagte etwas in mir: "Steige aus dem Zug aus und bleibe für eine Weile hier." Ich blieb für eine Woche dort und sagte zu mir selbst: "Das ist der Ort, an dem ich den Rest meines Lebens verbringen muß!" Damals hatte ich noch viel Geld, aber meine Frau wollte wegen des Klimas nicht in der Schweiz bleiben; auch passierten viele andere Dinge, und wir gingen nach Amerika. Jetzt aber wurde dieser unerfüllte Traum Wirklichkeit. Wir gingen nach Saanen, weil ich dort schon immer wohnen wollte, also lebe ich auch noch weiterhin dort. Dann wählte sich J. Krishnamurti aus irgendwelchen Gründen Saanen als seinen Sommertreffpunkt aus und fing an, dorthin zu kommen. Ich lebte dort; ich interessierte mich weder für Krishnamurti noch für sonst irgend etwas. So kann Ihnen zum Beispiel Valentine erzählen, die schon einige Jahre vor meinem neunundvierzigsten Geburtstag mit mir zusammenlebte, daß ich mit ihr niemals über diese Dinge (wie mein Interesse an der Wahrheit oder der Realität) sprach - nichts dergleichen. Ich besprach diese Themen weder mit ihr noch mit sonst irgend jemandem. Da war kein Suchen in mir, kein Streben nach irgendwas - aber etwas Merkwürdiges war im Gange.

Während dieser Zeit (die ich die 'Inkubation' nenne), ging in meinem Innern alles mögliche vor. So hatte ich zum Beispiel ständige Kopfschmerzen, schreckliche Schmerzen hier im Gehirn. Ich weiß nicht, wieviel zehntausende von Aspirintabletten ich schluckte. Nichts brachte mir Erleichterung. Das war keine Migräne, und es war auch nicht wie die sonstigen bekannten Kopfschmerzen, es waren schreckliche Schmerzen. Ich brauchte all diese Aspirintabletten und fünfzehn bis zwanzig Tassen Kaffee am Tag, um mich davon zu befreien. Eines Tages sagte Valentine zu mir: "Du trinkst jeden Tag fünfzehn Tassen Kaffee. Weißt du, was uns das kostet? Das sind drei- oder vierhundert Franken jeden Monat. Was ist das nur?" Jedenfalls war das damals eine schreckliche Sache für mich.

Alle möglichen seltsamen Dinge geschahen mit mir. Ich erinnere mich, daß mein Körper funkelte; wenn ich so an ihm rieb, gab es ein phosphoreszierendes Schimmern. Sie rannte aus ihrem Schlafzimmer, um das zu sehen. Sie dachte, daß da mitten in der Nacht Autos führen. Jedesmal, wenn ich mich im Bett herumdrehte, gab es diese Lichtfunken (er lacht), und ich fand das komisch. "Was ist das?" Es war Elektrizität - ein elektromagnetisches Feld. Zuerst dachte ich, das käme von meiner Nylonbekleidung und sei statische Elektrizität, und ich hörte auf, solche Kleidung zu tragen. Ich war ein absolut skeptischer Häretiker; ich habe niemals etwas geglaubt; selbst wenn vor meinen Augen ein Wunder geschah, habe ich es doch nicht akzeptiert; so war ich einfach, und es wäre mir niemals in den Sinn gekommen, daß sich etwas dieser Art in mir vorbereiten würde

Es passierten mir sehr merkwürdige Dinge, die ich aber niemals mit Befreiung oder Moksha in Verbindung brachte, denn zu dieser Zeit war in mir kein Interesse mehr für dergleichen vorhanden. Ich war an einem Punkt angelangt, wo ich mir sagte: "Der Buddha hat sich und andere getäuscht. All diese Lehrer und Retter der Menschheit waren verdammte Narren, sie hielten sich selbst zum Narren - also bin ich an derlei Dingen nicht mehr interessiert" - und so verschwanden sie alle vollkommen aus meinem Organismus. Eigenartige Dinge geschahen, aber ich sagte mir niemals: "Nun, ich werde es schaffen, ich bin nahe daran." Es gibt keine Nähe hierzu, und es gibt keine Entfernung davon. Niemand ist näher daran, weil er anders oder vorbereitet wäre. Es gibt keine Bereitschaft hierfür - es trifft einen gerade so wie eine Tonne Ziegelsteine.

Dann (im April 1967) war ich zufälligerweise in Paris, als J. Krishnamurti auch dort war. Einige meiner Bekannten schlugen mir vor: "Warum gehst du nicht hin und hörst deinem alten Freund zu? Er ist hier und hält Vorträge." "Gut, ich habe ihn lange nicht gehört - fast zwanzig Jahre ist das her - ich werde gehen und ihn mir anhören." Als ich dort hinkam, verlangten die zwei Francs von mir. Ich sagte: "Ich bin nicht bereit, zwei Francs zu bezahlen, um J. Krishnamurti zu hören. Kommt, wir gehen und tun was Verrücktes. Gehen wir doch in eine Striptease Show in die Folie Bergère oder das Casino de Paris. Für zwanzig Francs kommen wir da rein." So saßen wir dann im Casino de Paris und sahen uns die Show an, als ich ein sehr seltsames Erlebnis hatte: Ich wußte nicht, ob ich der Tänzer auf der Bühne war oder ob da jemand anderer tanzte. Das war eine eigenartige Erfahrung für mich - in mir fand eine eigentümliche Bewegung statt (inzwischen ist sie zu einer natürlichen geworden). Es war keine Trennung da: Es gab niemanden, der den Tänzer ansah. Die Frage, ob ich der Tänzer sei oder ob da ein Tänzer auf der Bühne war, stellte mich vor ein Rätsel.

Die Frage "Was ist dieser Zustand?" nahm für mich eine ungeheure Intensität (keine emotionale Intensität) an - je mehr ich versuchte, darauf eine Antwort zu finden, je mehr ich daran scheiterte, eine Antwort zu finden, desto mehr gewann die Frage an Dringlichkeit. Das ist wie mit der Spreu vom Reis (ein Gleichnis, das ich hier gerne verwende) - wenn ein Haufen mit Reisspreu angezündet wird, dann brennt er von innen her. Außen sieht man das Feuer nicht, aber wenn man ihn anrührt, verbrennt man sich natürlich. Genau so ging es mit dieser Frage in mir: "Was ist das für ein Zustand? Ich will ihn haben. Punktum! Krishnamurti hatte gesagt: "Du hast keine Chance", und doch will ich immer noch wissen, was das für ein Zustand ist, in dem der Buddha, Sankara und all diese Lehrer sich befanden."

Dann (im Juli 1967) kam eine andere Phase. Krishnamurti war wieder in Saanen und hielt Vorträge. Meine Freunde schleppten mich da hin und sagten: "Jetzt ist die Sache wenigstens gratis. Warum kommst du nicht und hörst zu?" Ich sagte: "Gut, ich komme und höre zu." Während ich ihm zuhörte, geschah etwas Merkwürdiges mit mir - das absonderliche Gefühl entstand, daß er meinen und nicht seinen Zustand beschrieb. Warum wollte ich diesen Zustand kennenlernen? Er beschrieb etwas, eine Bewegung, ein Innewerden, eine Stille - "in dieser Stille gibt es keinen Verstand mehr, da ist Aktion" - und so weiter... Dann: "Ich bin in diesem Zustand. Was zum Teufel habe ich nur die letzten dreißig oder vierzig Jahre lang gemacht? - Ich habe all diesen Leuten zugehört und gekämpft, um seinen Zustand oder den der anderen, des Buddha oder Jesus, zu verstehen. Ich bin in diesem Zustand. Jetzt befinde ich mich in diesem Zustand!" Dann ging ich zum Zelt hinaus und sah niemals mehr zurück.

Daraufhin verwandelte sich die Frage "Was ist dieser Zustand?" seltsamerweise in eine andere: "Wie weiß ich, daß ich in diesem Zustand bin, der Seinsweise des Buddha, jenem Zustand, den ich so gerne für mich haben wollte und den ich von den anderen forderte. Ich befinde mich in diesem Zustand, aber wie kann ich das wissen?"

Am nächsten Tag (UGs neunundvierzigstem Geburtstag), saß ich auf einer Bank unter einem Baum und blickte auf eine der schönsten Gegenden der ganzen Welt, die sieben Berge und sieben Täler des Saanenlandes. Ich saß da. Es war nicht so, daß ich nur diese Frage gehabt hätte, nein, mein ganzes Wesen bestand aus dieser Frage. "Woher weiß ich, daß ich in diesem Zustand bin? Da gibt es in meinem Innern diese eigenartige Trennung: Es ist jemand da, der weiß, daß er sich in diesem Zustand befindet. Wenn es das Wissen über diesen Zustand ist (das, was ich gelesen und erlebt habe, worüber 'sie' gesprochen haben) das selbst diesen Zustand betrachtet - dann ist es nur dieses Wissen, das diesen Zustand projiziert hat." Ich sagte zu mir selbst: "Schau her, alter Junge, in vierzig Jahren bist du nicht einen einzigen Schritt weitergekommen. Du stehst immer noch ganz am Anfang. Es ist dasselbe Wissen, das dein Verstand dahin projiziert hat, als du die Frage stelltest. Du bist in der gleichen Situation und fragst die gleiche Frage: "Wie kann ich es wissen?" - denn es ist dieses Wissen, d.h. die Beschreibung des Zustandes, die andere gegeben haben, das diesen Zustand in dir erst geschaffen hat. Du machst dir etwas vor. Du bist ein großer Narr." Also nichts. Und doch blieb da immer noch dieses eigentümliche Gefühl, daß es 'der' Zustand war.

Die zweite Frage: "Woher weiß ich, daß dies der Zustand ist?" hörte nicht auf, sich zu stellen; ich fand darauf keine Antwort. Es war wie eine Frage in einem Strudel, sie drehte sich immer und immer weiter. Dann verschwand sie plötzlich. Nichts war geschehen; die Frage verschwand einfach. Ich sagte mir nicht: "Oh, mein Gott, jetzt habe die Antwort gefunden." Sogar dieser Zustand war verschwunden - der Zustand, von dem ich glaubte, daß ich mich darin befände, der Zustand des Buddha und des Jesus, selbst das war verschwunden. Die Frage war verschwunden. Sehen Sie, für mich ist das vorbei, und das ist alles. Ich habe mir seitdem niemals gesagt: "Jetzt habe ich die Antwort auf all diese Fragen." Dieser Zustand, von dem ich sagte: "Das ist der Zustand" - er ist verschwunden. Die Frage ist verschwunden. Aus und vorbei. Es ist nicht die Leere, es ist nicht Ausdruckslosigkeit, es ist kein Vakuum, nichts davon; die Frage verschwand plötzlich, und das ist alles.

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(Das Verschwinden seiner fundamentalen Frage durch die Entdeckung, daß es auf sie keine Antwort gab, war ein physiologisches Phänomen - "es war, eine plötzliche 'Explosion' in meinem Innern, die sozusagen jede Zelle, jeden Nerv und jede Drüse meines Körpers sprengte", wie UG es ausdrückt. Und mit dieser 'Explosion' war die Illusion, daß es eine Kontinuität des Denkens und ein Zentrum gäbe, ein 'Ich', das die Gedanken verbindet, verschwunden.)

Damit kann das Denken nichts mehr verbinden. Die Verbindung wird unterbrochen und ist damit für immer beendet. Es geschieht nicht nur einmal, daß das Denken explodiert - jedesmal, wenn ein Gedanke auftaucht, explodiert es - somit kommt diese Kontinuität an ihr Ende, und das Denken fällt in seinen natürlichen Rhythmus.

Seither habe ich keinerlei Fragen mehr, denn sie können sich dort nicht mehr halten. Die einzigen Fragen, die ich noch habe, sind einfacher Art, (z.B. "Wie komme ich nach Hyderabad?"), wie man sie stellen muß, um in dieser Welt zu funktionieren und auf die die Menschen eine Antwort haben. Auf diese anderen Fragen aber kennt niemand eine Antwort, also sind es auch keine Fragen mehr.

Alles im Kopf hat sich zusammengezogen - es war überhaupt kein Platz mehr innerhalb meines Gehirns. Damals wurde mir zum erstenmal bewußt, daß alles in meinem Kopf 'dicht' war. Das heißt, daß diese Vasanas (vergangene Eindrücke), oder wie immer Sie das nennen, zwar manchmal noch versuchen, ihr Haupt zu erheben, aber dann sind die Gehirnzellen so 'zu', daß sie dort keinen Platz mehr haben, ihren Unfug anzurichten. Die Trennung kann nicht aufrechterhalten werden, das ist eine physikalische Unmöglichkeit; sehen Sie, dazu man muß überhaupt nichts tun. Daher sagte ich, daß die 'Explosion' (ich gebrauche das Wort 'Explosion', denn es ist wie eine Nuklearexplosion), wenn sie stattfindet, eine Kettenreaktion auslöst. Jede Zelle im Körper bis hinein ins Knochenmark muß sich diesem 'Wechsel' unterziehen. Ich benütze das Wort 'Wechsel' nicht gerne, denn dieser Vorgang ist irreversibel. Die Frage eines Zurückgehens stellt sich gar nicht. Irreversibel: eine Art Alchemie.

Sehen Sie, es ist wie eine Atomexplosion - es zertrümmert den ganzen Körper. Das ist keine leichte Sache - es ist das Ende des Menschen - wenn jede Zelle und jeder Nerv im Körper vernichtet werden. Ich ging in diesem Moment durch eine schreckliche physische Folter. Es ist nicht so, daß man die 'Explosion' erleben würde, das geht nicht; aber die Nachwirkungen, der 'Fall-Out', sind es, die die ganze chemische Zusammensetzung der Körpers verändern.

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F: Sir, Sie müssen doch, wenn ich diese Worte gebrauchen darf, höhere Sphären erreicht haben...

UG: Sie reden von Sphären? Da gibt es keine Sphären, keine Ebenen, keine Höhen. Sehen Sie, da ist etwas sehr Seltsames, das als Ergebnis dieser 'Explosion', oder wie immer Sie es nennen wollen, geschieht: zu keiner Zeit dringt der Gedanke, daß ich von Ihnen verschieden sei, in dieses Bewußtsein. Niemals. Niemals kommt mir dieser Gedanke und sagt mir, daß Sie verschieden seien von mir oder ich von Ihnen, denn es gibt hier keinen Fixpunkt, kein Zentrum. Sie schaffen sich all diese anderen Punkte selbst, weil Sie sich auf dieses Zentrum beziehen.

F: In bestimmter Hinsicht müssen Sie aber gewiß anders sein als andere Menschen.

UG: Wahrscheinlich physiologisch...

F: Sie sagen, daß in Ihnen große chemische Veränderungen vorgegangen sind. Woher wissen Sie das? Sind Sie jemals untersucht worden, oder ist das eine Annahme?

UG: Ich kann nur davon sprechen, wie die Nachwirkungen (dieser 'Explosion') sind und daß die Sinne jetzt ohne Koordinator oder Zentrum funktionieren. Und noch etwas anderes: die Chemie hat sich verändert. Ich kann das sagen, denn ohne daß diese Alchemie (oder Umwandlung) stattgefunden hat, gibt es keine Möglichkeit, diesen Organismus vom Denken, von der Kontinuität des Denkens, zu befreien. Da es also keine Kontinuität des Denkens gibt, ist es leicht zu sagen, daß etwas geschehen sei - aber was ist tatsächlich geschehen? Ich habe überhaupt keine Möglichkeit, das zu erfahren.

F: Es könnte doch sein, daß mein Verstand verrückt spielt, und ich bilde mir nur ein, ich sei ein 'explodierter' Mann?

UG: Ich versuche nicht, hier irgend etwas zu verkaufen. Es ist unmöglich, dies zu simulieren. Es ist etwas, das außerhalb des Feldes geschehen ist, in dem ich die Umwandlung erträumt, erwartet und gewollt hatte, daher nenne ich sie auch keinen 'Wechsel'. Ich weiß wirklich nicht, was mit mir passiert ist. Was ich Ihnen beschreibe, ist die Art und Weise, wie ich funktioniere. Scheinbar gibt es einen Unterschied in der Weise, wie ich funktioniere und wie Sie funktionieren. Aber im Grunde kann es doch keinen Unterschied geben. Wie kann da ein Unterschied zwischen mir und Ihnen sein? Es kann ihn nicht geben, und doch scheint es, gemessen daran, wie wir uns auszudrücken versuchen, so zu sein. Ich habe das Gefühl, daß es da einen Unterschied gibt - und worin der besteht, das ist alles, was ich zu verstehen suche. So funktioniere ich also.

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(UG bemerkte in der Woche, die der 'Explosion' folgte, fundamentale Veränderungen im Funktionieren seiner Sinne. Am letzten Tag ging sein Körper durch einen Prozeß des physischen Todes' (Nirvikalpa Samadhi)), und die Veränderungen wurden zum permanenten Charakteristikum.)

Am nächsten Tag begannen die Veränderungen, sieben Tage lang, jeden Tag eine andere. Zuerst bemerkte ich die Weichheit der Haut, dann hörte der Lidschlag der Augen auf, und dann gab es Veränderungen im Geschmacks- und Geruchssinn und beim Hören - diese fünf Veränderungen bemerkte ich; vielleicht waren sie schon vorher dagewesen, und sie fielen mir nur zum ersten Mal auf.

(Am ersten Tag) bemerkte ich, daß meine Haut seidenweich war und einen besonderen goldenen Schimmer hatte. Jedesmal, wenn ich mich rasieren wollte, rutschte der Rasierapparat ab. Ich wechselte die Klingen aus, aber das nützte nichts. Ich berührte mein Gesicht. Mein Tastsinn war verändert, auch die Art, wie ich den Rasierapparat hielt. Und vor allem meine Haut - sie war so glatt wie Seide und hatte diesen goldenen Schimmer. Ich erzählte niemanden davon; ich beobachtete es nur.

(Am zweiten Tag) bemerkte ich zum ersten Mal, daß mein Verstand sich in einem Zustand befand, den ich als 'abgekoppelt' bezeichne. Ich war oben in der Küche, und Valentine hatte Tomatensuppe zubereitet. Ich sah mir das an, und ich wußte nicht, was es war. Sie sagte, es sei Tomatensuppe; ich kostete davon und erkannte: "So schmeckt Tomatensuppe." Ich schluckte die Suppe hinunter und kehrte dann in diesen merkwürdigen Geisteszustand zurück - obwohl - Geisteszustand ist nicht das richtige Wort. Es war ein 'Nicht-Geisteszustand', in dem ich mich befand und in dem ich sofort wieder vergaß. Also fragte ich noch einmal: "Was ist das?" Sie wiederholte, das sei Tomatensuppe. Ich versuchte sie wieder, schluckte sie hinunter und vergaß. Damit spielte ich ein Weilchen herum. Das war für mich damals eine komische Sache, dieser 'abgekoppelte Zustand'; jetzt ist er zur Normalität geworden. Ich verbringe meine Zeit nicht länger mit Tagträumen, Sorgenmachen, Wunschvorstellungen und ähnlichen Denkungsarten, wie es die meisten Menschen tun, wenn sie alleine sind. Mein Verstand wird nur dann in Anspruch genommen, wenn er gebraucht wird, zum Beispiel, wenn Sie mir eine Frage stellen oder wenn ich den Kassettenrecorder reparieren soll oder etwas ähnliches. In der übrigen Zeit befindet sich mein Verstand in diesem 'abgekoppelten Zustand'. Inzwischen ist mein Gedächtnis natürlich zurückgekehrt, zunächst hatte ich es verloren, jetzt ist es wieder da. Aber es ist immer im Hintergrund und kommt nur dann, wenn es gebraucht wird, automatisch mit ins Spiel. Wenn sie nicht gebraucht werden, sind da weder Verstand noch Gedanken - da ist nur das Leben.

(Am dritten Tag) luden sich ein paar Freunde selbst zum Abendessen ein, und ich sagte: "Gut, ich mache etwas." Aber ich konnte nicht richtig riechen und schmecken. Allmählich wurde mir klar, daß diese beiden Sinne sich verwandelt hatten. Jedesmal, wenn mir ein Geruch in die Nase stieg, wurde mein Geruchszentrum auf die gleiche Weise angeregt - ob er nur von teuerem Parfum oder von Kuhmist kam - es entstand der gleiche Reiz. Und wenn ich etwas kostete, schmeckte ich nur den vorherrschenden Inhaltsstoff, der Geschmack der anderen Ingredienzen kam erst danach. Von diesem Moment an machte Parfum keinen Sinn mehr, und gewürztes Essen hatte seinen Reiz verloren. Ich konnte nur noch das vorherrschende Gewürz schmecken, die Chillies, oder was immer es war.

(Am vierten Tag) passierte etwas mit den Augen. Wir saßen im Restaurant 'Rialto', und ich wurde plötzlich einer gewaltigen Art von 'Vistavision' gewahr - etwas wie ein konkaver Spiegel. Dinge kamen auf mich zu und gingen sozusagen in mich hinein, und Dinge, die von mir weggingen, schienen aus mir herauszukommen. Das war für mich sehr verwirrend - es war, als ob meine Augen eine gigantische Kamera wären, die den Fokus veränderte, ohne daß ich etwas dazu tat. Jetzt habe ich mich an dieses Verwirrspiel gewöhnt; so ist es, wie ich heutzutage sehe. Wenn Sie mich mit Ihrem Mini umherfahren, bin ich wie ein Kameramann auf seinem Wagen, und die entgegenkommenden Autos fahren in mich hinein und die, die uns überholen, kommen aus mir heraus, und wenn meine Augen etwas fixieren, dann tun sie das mit totaler Aufmerksamkeit, wie eine Kamera. Und noch etwas war mit meinen Augen: Als wir vom Restaurant zurückkamen, sah ich in den Spiegel, um herauszufinden, ob etwas mit ihnen nicht stimmte und um festzustellen, wie sie 'fixiert' waren. Ich sah lange Zeit in den Spiegel und stellte fest, daß meine Lider nicht blinkten. Ich sah eine halbe Stunde lang in den Spiegel - und da war immer noch kein Wimpernzucken. Den instinktiven Lidschlag gibt es nicht mehr für mich - jetzt immer noch nicht.

(Am fünften Tag) bemerkte ich Veränderungen im Hörvermögen. Wenn ich einen Hund bellen hörte, so ging das Bellen von mir aus. Das gleiche beim Muhen einer Kuh oder dem Pfeifen eines Zuges - plötzlich gingen alle Töne sozusagen aus meinem Inneren hervor; sie kommen von innen und nicht von außen; auch das ist immer noch so.

Die fünf Sinne hatten sich in fünf Tagen verändert, und am sechsten Tag lag ich auf dem Sofa - Valentine war in der Küche - als mein Körper plötzlich verschwand. Es war kein Körper da. Ich sah meine Hand an. (Das ist verrückt, Sie würden mich wahrscheinlich ins Irrenhaus bringen...) Ich sah sie also an: "Ist das meine Hand?" - (es wurden nicht wirklich Fragen gestellt, ich beschreibe damit nur die Situation.) Ich berührte diesen Körper. Nichts. Ich spürte dort gar nichts, außer der Berührung selbst, den Kontaktpunkt. Dann rief ich Valentine: "Siehst du meinen Körper auf diesem Sofa? In mir ist nichts, das mir sagen würde, daß dies mein Körper ist." Sie berührte ihn: "Das ist dein Körper." Aber diese Zusicherung gab mir weder Trost noch Befriedigung. "Was ist das für eine komische Angelegenheit? Mein Körper fehlt." Mein Körper ist weggegangen, und er ist nie zurückgekommen. Für meinen Körper gibt es nur noch diese Kontaktpunkte, denn das Sehen ist vom Tastsinn vollkommen unabhängig. Es ist mir also nicht möglich, mir ein komplettes Bild von meinem Körper zu machen, denn wo kein Gefühl des Berührens vorhanden ist, fehlt auch das Bewußtsein von Kontaktpunkten.

Am siebten Tag lag ich auf demselben Sofa, um mich auszuruhen und freute mich an diesem 'abgekoppelten Zustand'. Wenn Valentine hereinkam, erkannte ich sie als Valentine, ging sie aus dem Zimmer - aus, nichts, keine Valentine. "Was ist das? Ich kann mir nicht einmal vorstellen, wie Valentine aussieht." Wenn ich den Tönen zuhörte, die aus meinem Inneren kamen, konnte ich keine Beziehung dazu finden. Ich hatte entdeckt, daß alle meine Sinne ohne jede Koordinierung waren: der Koordinator fehlte.

Ich spürte, daß in meinem Innern etwas geschah: die Lebensenergie zog sich aus den verschiedenen Teilen meines Körpers auf einen fokalen Punkt zusammen. Ich sagte zu mir selbst: "Jetzt bist du am Ende deines Lebens angekommen. Du wirst sterben." Da rief ich Valentine und sagte zu ihr: "Ich werde sterben, Valentine, und du wirst etwas mit diesem Körper anfangen müssen. Übergib ihn den Ärzten, vielleicht können die ihn gebrauchen. Ich glaube nicht an Beerdigungen und Verbrennungen und diese Dinge. Es ist in deinem Interesse, diesen Körper loszuwerden, er wird in einigen Tagen zu stinken anfangen, warum ihn also nicht hergeben?" Sie sagte: "Du bist Ausländer. Die schweizer Regierung wird deinen Körper nicht nehmen. Vergiß es," und dann ging sie weg. Da war diese beängstigende Bewegung, in der die Lebenskraft sozusagen auf einen Punkt kam. Ich lag auf dem Sofa. Ihr Bett war leer, also legte ich mich hinein und streckte mich aus, um bereit zu sein. Sie ignorierte mich und ging weg. Sie sagte: "An einem Tag sagst du, das hätte sich geändert, am nächsten dies, und am dritten Tag hat sich jenes geändert. Was soll das ganze Theater?" Sie war an dergleichen nicht interessiert, niemals zeigte sie Interesse an Dingen religiöser Art, sie hatte davon nicht einmal gehört. "Du sagst, du wirst sterben. Du wirst nicht sterben. Dir geht es gut, du bist gesund und munter." Damit ging sie weg. Ich streckt mich aus, und das ging immer weiter und weiter. Die ganze Lebensenergie bewegte sich auf einen fokalen Punkt zu; wo der sich befand, weiß ich nicht. Dann kam ein Zeitpunkt, an dem es so aussah, als ob die Blende einer Kamera versuchte, sich selbst zu schließen. (Das ist der einzige Vergleich, der mir einfällt.) Die Art, wie ich das jetzt beschreibe, ist natürlich ganz anders als das, was damals wirklich geschehen ist, denn damals war niemand da, der in solchen Begriffen dachte. All das war aber Teil meiner Erfahrung, sonst würde ich nicht darüber sprechen können. Die Blende versuchte also, sich zu schließen, aber da war etwas, das versuchte, sie offenzuhalten. Nach einer Weile war kein Wille mehr vorhanden auch nur irgend etwas zu tun - nicht einmal mehr, die Blende der Kamera daran zu hindern, sich zu schließen. Plötzlich war es, als schlösse sie sich. Was danach geschah, weiß ich nicht.

Dieser Vorgang dauerte neunundvierzig Minuten - dieser Sterbeprozeß. Sehen Sie, das war wie ein physischer Tod. Das passiert mir immer noch: Hände und Füße werden ganz kalt, der Körper wird steif, der Herzschlag verlangsamt sich, ebenso der Atem, und dann kommt das Ringen nach Luft. Bis zu einem gewissen Punkt ist man noch dabei, man tut sozusagen seinen letzten Atemzug, und dann ist es zu Ende. Niemand weiß, was danach geschieht.

Als ich daraus hervorkam, sagte jemand, da sei ein Telefonanruf für mich. Ich ging die Treppe hinunter, um ihn anzunehmen. Ich war wie betäubt. Ich wußte nicht, was geschehen war. Das war ein physischer Tod. Was mich ins Leben zurückbrachte, weiß ich nicht. Ich weiß nicht, wie lange es gedauert hatte. Ich kann gar nichts darüber sagen, denn es gab keinen 'Erlebenden' mehr: es war niemand da, um den Tod überhaupt zu erleben... Es war zu Ende. Ich stand auf.

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Ich kam mir nicht so vor, als wäre ich ein neugeborenes Baby - die Frage nach Erleuchtung stellte sich gar nicht - aber all diese Dinge, die mich die ganze Woche über in Erstaunen versetzt hatten, die Veränderungen im Sehen, Hören usw. wurden zum permanenten Charakteristikum. Ich nenne diese ganzen Ereignisse die 'Kalamität'. Ich nenne sie 'Kalamität', weil dies alles nichts mit Schönheit, Liebe, Ekstase, Seligkeit und irgend etwas Phantastischem zu tun hatte, wie die Menschen glauben, denn es war eine physische Tortur - so gesehen also eine Kalamität. Keine Kalamität für mich, aber für diejenigen, die Vorstellungen der Art haben, daß da etwas Wunderbares oder Herrliches geschehen würde. Es ist ungefähr so: man stellt sich New York vor und träumt davon; man möchte dort sein. Wenn man dann tatsächlich dort ist, gibt es dort gar nichts. Es ist ein gottverlassener Ort, den wohl selbst die Teufel aufgegeben haben. Es ist nicht das, was man so sehr begehrt und gewollt hat, es ist vollkommen anders. Was dort ist, kann man wirklich nicht wissen - es gibt keine Möglichkeit, irgend etwas darüber zu wissen - davon gibt es hier keine Vorstellung. In diesem Sinne kann ich also niemals zu mir selbst oder sonst jemandem sagen: "Ich bin ein erleuchteter Mensch, ein freier Mann; ich werde die Menschheit befreien." Wovon befreien? Wie könnte ich jemand anderen befreien? Diese Frage stellt sich nicht. Dazu müßte ich das Selbstbild haben, ich sei ein freier Mann. Verstehen Sie?

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Dann, am achten Tag, ich saß auf dem Sofa, da ereignete sich plötzlich ein Ausbruch einer immensen Energie und erschütterte den ganzen Körper und mit ihm das Sofa, das Chalet und, wie es schien, das ganze Universum - sie erbebten und vibrierten. So eine Bewegung kann man nicht machen. Sie war plötzlich. Ob sie von außen oder innen kam, von oben oder unten, kann ich nicht sagen - ich konnte die Stelle nicht lokalisieren, es war überall. Das hielt viele Stunden lang an. Ich konnte es nicht ertragen, aber ich konnte auch nichts tun, um es zu stoppen; da war eine totale Hilflosigkeit. Es ging immer weiter so, Tag für Tag. Jedesmal, wenn ich mich hinsetzte, ging es wieder los mit diesen Vibrationen, wie ein epileptischer Anfall, nein, kein Anfall, denn es ging viele Tage lang so.

(Drei Tage lang lag UG in seinem Bett, sein Körper von Schmerzen gekrümmt. Es war, so sagt er, als ob er in jeder einzelnen Zelle seines Körpers Schmerzen fühlte, einer nach der anderen. Ähnliche Ausbrüche von Energie ereigneten sich mit Unterbrechungen während der nächsten sechs Monate immer dann, wenn er sich niederlegte oder ausruhte.)

Der Körper war nicht imstande zu... Der Körper fühlt den Schmerz. Das ist ein sehr schmerzhafter Vorgang. Sehr schmerzhaft. Es ist ein physischer Schmerz, denn der Körper hat seine Begrenzungen - er hat seine eigene Form, eine ihm eigene Gestalt; das heißt also, wenn es dort so einen Energieausbruch gibt von einer Energie, die nicht meine, nicht Ihre und nicht Gottes (oder wie immer Sie das nennen) ist, dann ist das so, als würde ein Fluß über die Ufer treten. Die Energie, die dort wirksam ist, fühlt die Begrenzungen des Körpers nicht; sie ist nicht daran interessiert; sie hat ihre eigene Dynamik. Da ist nichts von ekstatischer, verzückter Seligkeit und all diesem Blödsinn, sondern es ist eine wirklich schmerzhafte Angelegenheit. Ich habe viele Monate danach noch gelitten, und zuvor auch. (Sogar Ramana Maharshi hat danach gelitten.)

Eine große Kaskade - nicht eine, tausende von Kaskaden - das ging Monat um Monat immer so weiter. Es ist eine sehr schmerzhafte Erfahrung - schmerzhaft in dem Sinne, daß die Energie eine besondere, ihr eigene Wirkungsweise hat. Sie kennen sicher die Wills Zigarettenreklame im Flughafen. Da ist ein Atom: Linien laufen so... (UG demonstriert, wie.) Das ist im Uhrzeigersinn, und dann so und dann in diese Richtung. Wie ein Atom, so bewegt sich die Energie im Innern - nicht nur in einem Teil der Körpers, sondern überall. Es ist, als würde ein nasses Handtuch ausgewrungen; das ist im ganzen Körper so, es ist ein schmerzhaftes Geschehen. Es geht sogar jetzt noch weiter. Man kann es nicht einladen, man kann es nicht bitten zu kommen; man kann gar nichts tun. Es gibt einem das Gefühl, als würde man darin eingehüllt, als würde es auf einen heruntersinken. Herunter von wo? Woher kommt es? Wie kommt es? Es ist jedesmal neu, seltsamerweise kommt es jedesmal auf eine andere Weise, also weiß man nie, was geschieht. Man legt sich auf sein Bett nieder, und plötzlich beginnt es - es fängt an sich langsam, wie Ameisen, zu bewegen. Ich denke, da ist Ungeziefer in meinem Bett, springe heraus und schaue (lacht) - kein Ungeziefer - dann gehe ich zurück und wieder... Die Haare sind elektrifiziert und bewegen sich langsam.

Da waren Schmerzen überall im Körper. Das Denken hat den Körper in einem solchen Ausmaß unter Kontrolle, daß dann, wenn diese gelockert wird, der ganze Metabolismus in Erregung gerät. Alles wandelte sich auf seine eigene Weise, ohne daß ich etwas dazu tat. Dann veränderte sich die Bewegung der Hände. Gewöhnlich dreht man die Hände so (UG zeigt, wie). Dieses Handgelenk schmerzte sechs Monate lang stark, bis es sich drehte, und alle Bewegungen gehen jetzt so... Darum sagen die Leute, daß meine Bewegungen Mudras (mystische Gesten) seien. Meine Handbewegungen sind ganz anders als zuvor. Dann gab es da Schmerzen im Knochenmark. Jede Zelle veränderte sich, und das hielt sechs Monate lang an.

Und dann begannen sich die Sexualhormone zu verändern. Ich wußte nicht mehr, ob ich ein Mann oder eine Frau war. "Was kann das nur sein?" Plötzlich war da eine Brust auf meiner rechten Seite. Alles mögliche - ich will hier nicht auf die Details eingehen. Es gibt einen kompletten Bericht über all diese Dinge. Es ging immer weiter und weiter. Dieser Körper brauchte drei Jahre, um seinen eigenen Rhythmus zu finden.

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F: Können wir verstehen, wie es Ihnen geschehen ist?

UG: Nein.

F: Können wir verstehen, was geschehen ist?

UG: Sie können eine Beschreibung der Ereignisse meines Lebens lesen, das ist alles. Eines Tages, um meinen neunundvierzigsten Geburtstag herum, hörte etwas auf; an einem anderen Tag veränderte sich eine Sinneswahrnehmung; am dritten Tag änderte sich wieder etwas anderes... Es gibt einen Bericht darüber, wie das alles passiert ist. Aber welchen Wert sollte das für Sie haben? Es hat überhaupt keinen Wert. Auf der einen Seite ist es sehr gefährlich, wenn Sie die äußeren Manifestationen zu simulieren suchen. Die Menschen machen diese Dinge nach und glauben, es würde etwas passieren - das machen sie tatsächlich. Ich benahm mich normal. Ich wußte nicht, was geschieht. Das war eine befremdliche Situation, und es gibt keinen Grund, irgendwelche Aufzeichnungen zu hinterlassen, denn die Leute wollen diese Dinge nur nachahmen. Dieser Zustand ist etwas Normales!

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(An seinem Rumpf, Hals und Kopf, an den Stellen, die die heiligen Männer Indiens als Chakras bezeichnen, beobachteten seine Freunde Schwellungen in verschiedenen Formen und Farben, die in Intervallen kamen und vergingen. An seinem Unterbauch waren die Schwellungen wie horizontale, zigarrenförmige Bänder. Über dem Nabel gab es eine harte, mandelförmige Schwellung. Eine harte, blaue Schwellung wie ein großes Medaillon in der Mitte seiner Brust, wurde überragt von einer kleinen rotbraunen medaillonförmigen Schwellung am Halsansatz. Es schien, als ob die beiden Medaillons von einem vielfarbigen geschwollenem Ring (blau, bräunlich und hellgelb) um seinen Hals herabhingen, wie in den Bildern der Hindugötter. Es gab noch andere Ähnlichkeiten zwischen diesen Schwellungen und den Darstellungen der indischen religiösen Kunst: sein Hals war zu einer Form angeschwollen, die ihn so aussehen ließ, als würde sein Kinn auf dem Kopf einer Kobra ruhen, wie in den traditionellen Bildern des Shiva. Genau über seiner Nase war eine weiße, lotusförmige Schwellung; über seinen ganzen Kopf hinweg waren die kleinen Blutgefäße erweitert und bildeten ein Muster wie die stilisierten Erhebungen auf den Köpfen der Buddhastatuen. Wie die Hörner des Moses und der taoistischen Mystiker, so traten auch bei ihm zwei große harte Schwellungen auf und vergingen wieder. Die Arterien an seinem Hals dehnten sich aus und erhoben sich, blau und schlangengleich, in seinen Kopf hinein.)

Ich möchte kein Exhibitionist sein, aber Sie sind ja Ärzte - im Symbolismus Indiens gibt es die Kobra - sehen Sie diese Schwellungen hier? Sie nehmen die Form einer Kobra an. Gestern war Neumond. Der Körper wird von allem beeinflußt, er ist nicht getrennt von dem, was um ihn herum geschieht. Was immer dort geschieht, geschieht auch hier - es gibt nur die physische Reaktion - das ist die Affektion. Der Körper wird von allem beeinflußt, was um ihn herum geschieht; und man kann es nicht verhindern, aus dem einfachen Grund heraus, daß der Panzer, mit dem man sich umgeben hatte, zerstört ist und man somit allem gegenüber, was geschieht, sehr verletzlich wird. Mit den Phasen des Mondes, Vollmond, Halbmond, Viertelmond, nehmen diese Schwellungen hier die Form einer Kobra an. Vielleicht liegt hierin der Grund, warum die Menschen sich all die Bildnisse gemacht haben - Shiva und diese Art Dinge. Aber warum sollten sie die Form einer Kobra annehmen? Ich habe viele Ärzte gefragt, warum diese Schwellung hier ist, aber keiner konnte mir eine zufriedenstellende Antwort geben. Ich weiß nicht, ob sich an dieser Stelle irgendwelche Drüsen befinden.

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Es gibt gewisse Drüsen... Ich habe dies so oft mit Ärzten diskutiert, die auf dem Gebiet der Hormondrüsen forschen. Diese Drüsen sind, was die Inder 'Chakras' nennen. Diese Hormondrüsen befinden sich an exakt denselben Stellen, von denen die Inder annehmen, daß sie Chakras seien. Da gibt es eine Drüse, genannt Thymusdrüse, die im Kindesalter aktiv - sehr aktiv - ist. Kinder haben ganz besondere Gefühle. In der Pubertät, so wurde mir gesagt, wird diese Drüse inaktiv. Wenn es aber geschieht, daß man wiedergeboren wird, dann wird sie automatisch aktiviert, und diese Gefühle kommen wieder. Gefühle sind weder Gedanken noch Emotionen; man fühlt für jemand. Wenn jemand sich dort verletzt, wird der Schmerz hier gefühlt - nicht als Schmerz, aber man sagt automatisch: "Ah!"

Das passierte mir eines Tages, als ich mich in einer Kaffeeplantage aufhielt: Eine Mutter begann, ihr kleines Kind zu verprügeln. Sie war wirklich verrückt, und sie schlug das Kind so fest, daß es blau anzulaufen schien. Jemand fragte mich: "Warum sind Sie nicht dazwischengetreten, um sie zu stoppen?" Ich stand da - sehen Sie, ich war in einer solchen Verlegenheit - "Mit wem soll ich Mitleid haben, mit der Mutter oder mit dem Kind?" Das war meine Antwort. "Wer ist verantwortlich?" Beide waren in einer unsinnigen Situation - die Mutter hatte keine Kontrolle über ihre Wut, und das Kind war so hilflos und unschuldig. Das ging so weiter. Ich schwankte zwischen beiden hin und her - und dann fand ich all diese Striemen auf meinem Rücken. Also war ich Teil davon gewesen. (Ich sage das nicht, um irgend etwas zu behaupten.) Dies ist möglich, weil Bewußtsein nicht teilbar ist. Alles, was dort passiert, beeinflußt einen selbst - das ist Affektion, verstehen Sie? Es geht also überhaupt nicht darum, über jemanden zu Gericht zu sitzen und zu urteilen. Wenn nun eine bestimmte Situation gegeben ist, wird man auch in einer bestimmten Weise von ihr beeinflußt. Man wird von allem, was dort passiert, beeinflußt.

F: Im ganzen Universum?

UG: Sehen Sie, das ist zu groß. Aber von allem, was in Ihrem Bewußtseinsfeld geschieht. Bewußtsein ist natürlich nicht begrenzt. Wenn einer dort verletzt wird, werden auch Sie hier verletzt. Wenn Sie verletzt werden, gibt es dort eine sofortige Reaktion. Was im Universum, im ganzen Universum, geschieht, kann ich nicht sagen, aber in Ihrem Bewußtseinsfeld, dem begrenzten Feld, innerhalb dessen Sie zu diesem speziellen Zeitpunkt tätig sind, da reagieren Sie.

Und all diese anderen Drüsen... Es gibt so viele, hier zum Beispiel die Hypophyse - sie nennen sie das 'Dritte Auge', 'ajña chakra'. Wenn die ständige Einmischung des Denkens einmal aufhört, übernimmt diese Drüse das Kommando - sie ist es, die dem Körper Instruktionen oder Befehle erteilt. (Deshalb wird sie wohl so genannt - die wörtliche Bedeutung von 'ajña' ist Kommando). Aber Sie haben sich mit dem Denken einen Panzer geschaffen, und Sie erlauben es sich nicht, von den Dingen ergriffen zu werden.

Da es niemanden mehr gibt, der das Denken als einen selbstschützerischen Mechanismus benützt, verbrennt es sich. Das Denken macht eine Verbrennung durch, eine Ionisation (wenn ich Ihren wissenschaftlichen Terminus benutzen darf.) Denken ist letzten Endes Schwingung. Wenn also diese Art Ionisation des Denkens stattfindet, wirft es eine aschenähnliche Substanz aus und bedeckt damit manchmal den ganzen Körper. Der Körper wird damit bedeckt, wenn überhaupt keinerlei Bedürfnis nach Denken mehr besteht. Was geschieht mit diesem Denken, wenn man es nicht benützt? Es verbrennt sich - das ist die Energie - es ist ein Verbrennungsprozeß. Der Körper erhitzt sich, wissen Sie. Es ist eine enorme Hitze im Körper, und so wird die Haut, das Gesicht, die Füße, einfach alles, mit einer aschenartigen Substanz bedeckt.

Das ist einer der Gründe, warum ich es in schlichten und einfachen physikalischen und physiologischen Begriffen ausdrücke. Wie ich es sehe, hat das weder irgendeinen psychologischen noch einen mystischen Gehalt, ebenso gibt es keine religiösen Obertöne. Ich muß das sagen, und es ist mir gleichgültig, ob Sie es akzeptieren oder nicht; das ist für mich bedeutungslos.

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So etwas muß vielen Menschen geschehen sein. Ich sage, es passiert einem in einer Milliarde - und man ist dieser eine. Es ist nichts, worauf man besonders vorbereitet wäre. Damit so etwas geschieht, bedarf es keiner Methoden und keines Sadhana - überhaupt keiner Vorbereitung. Das Bewußtsein ist so rein, daß man nur Unreinheit hineinbringt, wenn man etwas unternimmt, um es zu purifizieren.

Das Bewußtsein muß sich selber durchspülen; es muß sich von jeder Spur von Heiligkeit und jeder Spur von Unheiligkeit säubern. Selbst das, was Sie als sakrosankt und heilig betrachten, ist in diesem Bewußtsein eine Verunreinigung. Aber das kann nicht durch eine Willensanstrengung geschehen. Wenn die Grenzen einmal zerstört sind - nicht durch willentliche Anstrengung - dann sind die Schleusentore geöffnet, und alles kann hinaus. Bei diesem Prozeß des Hinausschwemmens kommen dann diese Visionen. Das sind keine Visionen, die von außen oder innen kommen, sondern man selbst, das ganze Bewußtsein, nimmt plötzlich die Form des Buddha, Jesus, Mahavira, Mohammed oder Sokrates an (d.h. seltsamerweise nur der Menschen, die in diesen Zustand gekommen sind, nicht die der großen Führer der Menschheit, sondern nur der Menschen, denen auch so etwas geschehen ist).

Einer von ihnen war ein farbiger Mann, und während dieser Zeit konnte ich den Leuten erzählen, wie er aussah. Dann waren da einige Frauen mit nackten Brüsten und wehendem Haar. Mir wurde gesagt, sie seien zwei Heilige hier in Indien - Akkamahadevi und Lalleswari. Sie waren Frauen, nackte Frauen. Plötzlich hat man selbst zwei Brüste und wehendes Haar - selbst die Organe verwandeln sich in weibliche.

Aber immer noch besteht diese Trennung - da ist man selbst, und da ist die Form, die das Bewußtsein angenommen hat, die Form des Buddha zum Beispiel oder des Jesus Christus oder der Himmel weiß was... - es ist die gleiche Situation: "Woher weiß ich, daß ich in diesem Zustand bin?" Aber diese Trennung kann nicht lange bestehen; sie verschwindet, und dann kommt etwas anderes. Wahrscheinlich sind diese seltsamen Dinge mit Hunderten von Menschen geschehen, so vielen Rishis, Menschen aus dem Westen, Mönchen, vielen Frauen; es ist Teil der Geschichte. Sehen Sie, alles, was die Menschen vor uns erlebt haben, ist Teil des Bewußtseins. Ich benutze den Ausdruck "The saints go marching out" - bei den Christen gibt es diese Hymne "When The Saints Go Marching In". Sie rennen aus dem Bewußtsein heraus, weil sie dort nicht mehr bleiben können, weil sie dort eine Unreinheit und Kontamination darstellen.

Man könnte sagen (ich kann hierzu aber keine definitive Aussage machen), daß es wohl der Einfluß ist, den die 'Explosionen' all dieser Weisen, Heiligen und Retter der Menschheit auf das menschliche Bewußtsein hinterlassen haben, der die Ursache für diese innere Unzufriedenheit ist, die Sie schier zum Bersten bringt. Vielleicht ist dem so - ich kann es nicht sagen. Vielleicht könnte man sagen, daß es sie (die Weisen und Heiligen) deshalb gibt, damit sie die Menschen bis zu diesem Punkte drängen, und wenn sie das geschafft haben, ist ihre Arbeit beendet, und sie gehen wieder fort - aber das ist nur eine Spekulation meinerseits. Dieses Herausspülen von allem, was gut oder schlecht, heilig oder profan ist, muß stattfinden, sonst bleibt das Bewußtsein beschmutzt und unrein. Dieser Vorgang dauert sehr lange - es gibt Hunderttausende dieser Verunreinigungen - aber dann ist man in den ursprünglichen, uranfänglichen Bewußtseinszustand zurückversetzt. Wenn es einmal, mit und durch sich selbst, rein geworden ist, dann kann es von nichts mehr berührt, von nichts mehr beschmutzt werden. Die ganze Vergangenheit bis hin zu diesem Punkt ist immer noch da, aber sie kann die Handlungen des Menschen nicht mehr beeinflussen.

All dies und die Visionen passierten nach der 'Kalamität', drei Jahre lang. Jetzt ist die ganze Sache vorüber. Der getrennte Bewußtseinszustand kann gar nicht mehr funktionieren, jetzt befindet sich das Bewußtsein immer in einem ungeteilten Zustand, und nichts kann es berühren. Es kann alles passieren, der Gedanke kann ein guter Gedanke sein, ein schlechter Gedanke, die Telefonnummer einer Londoner Prostituierten... Während meiner Wanderungen durch London pflegte ich mir diese Telefonnummern anzusehen, die an den Bäumen festgemacht waren. Ich war nicht daran interessiert, zu einer Prostituierten zu gehen, aber diese Nummern interessierten mich. Ich hatte sonst nichts zu tun, keine Bücher zu lesen, nichts zu tun, als diese Nummern anzuschauen. Eine Nummer wird im Innern fixiert, sie geht da hinein, sie wiederholt sich selbst. Es spielt keine Rolle, was dahin kommt, gut oder schlecht, heilig oder unheilig. Was ist da, um zu sagen, "das ist gut, das ist schlecht"? Das alles ist vorbei. Ich muß nun aber doch den Ausdruck 'religiöse Erfahrung' benutzen (nicht in dem Sinne, wie Sie das Wort 'Religion' gebrauchen) - denn er drückt aus, daß man zum Ursprung zurückgebracht wird. Man ist zurück im uranfänglichen, ursprünglichen Bewußtseinszustand - nennen Sie es 'Innewerden' oder wie auch immer. In diesem Zustand geschehen die Dinge, und es ist niemand da, der interessiert ist und niemand, der sie sich anschaut. Sie kommen und gehen in ihrer Weise, so wie die Wasser des Ganges fließen: die Abwässer kommen hinein, halb verbrannte Leichen, gute Dinge und schlechte Dinge - aber das Wasser ist immer rein.

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Der verwirrendste Teil kam dann, als die sensorischen Aktivitäten ihre unabhängige Karriere begannen. Es gab keinen Koordinator, der die Sinne miteinander verbunden hätte, somit bekamen wir schreckliche Probleme - Valentine mußte das alles mitmachen. Wenn wir spazierengingen und ich eine Blume ansah, fragte ich: "Was ist das?" Sie antwortete: "Das ist eine Blume." Ich ging ein paar Schritte weiter, sah eine Kuh und fragte: "Was ist das?" Ich mußte wie ein Baby alles neu lernen (nicht eigentlich neu, denn das gesamte Wissen war im Hintergrund vorhanden - es trat nur niemals in den Vordergrund.) "Was ist das für eine verrückte Geschichte?" Ich fühlte mich nicht, als sei ich in einem verrückten Zustand. Ich war ein geistig völlig gesunder Mann, der sich vernünftig benahm, nur war da die lächerliche Geschichte, daß ich immerzu fragte: "Was ist das?" "Was ist jenes?" Nur diese, keine anderen Fragen. Valentine wußte auch nicht, was sie von alledem halten sollte. Sie ging sogar zu einem der führenden Genfer Psychiater. Sie eilte zu ihm, weil sie verstehen wollte, aber gleichzeitig spürte sie, daß an mir nichts Verrücktes war. Wenn ich nur eine verrückte Sache gemacht hätte, würde sie mich verlassen haben. Keine Verrücktheiten, sehen Sie, nur dieses: "Was ist das?" "Das ist eine Kuh." Was ist das?" "Das ist das." Es ging immer weiter, und es wurde ihr zuviel und mir auch. Als sie den Psychiater traf, sagte der: "Wir können nichts sagen, ohne daß wir diesen Menschen sehen. Sie müssen ihn hierher bringen." Ich wußte, daß in meinem Innern etwas wirklich Phantastisches geschehen war - was es war, wußte ich nicht. "Warum also fragen, ob das eine Kuh ist? Was macht es schon für einen Unterschied, ob das eine Kuh, ein Esel oder ein Pferd ist?" Diese verrückte Situation, in der das gesamte Wissen im Hintergrund war, dauerte noch lange. Sie hält sogar immer noch an, nur stelle ich diese Fragen nicht mehr. Wenn ich etwas ansehe, dann weiß ich wirklich nicht, was ich sehe; daher sage ich, das sei ein Zustand des Nichtwissens. Ich weiß wirklich nicht. Deshalb sage ich, ist man einmal durch eine merkwürdige Fügung des Schicksal dort angekommen, dann geschieht alles auf seine Weise. Man ist immer in einem Zustand von Samadhi. Es gibt kein da Hineingehen oder daraus Hervorgehen, man befindet sich immer darin. Da ich dieses Wort (Samadhi) nicht benutzen mag, sage ich, es ist ein Zustand des Nichtwissens. Man weiß wirklich nicht, was man sieht.

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Es gibt nichts, was ich deswegen tun kann - die Frage, ob ich zurückgehen könnte, stellt sich nicht; das ist alles vorbei - alles läuft und funktioniert jetzt auf eine andere Weise. (Ich muß das Wort 'andere Weise' benutzen, um Ihnen ein Gefühl dafür zu vermitteln.)

Es scheint einige Unterschiede zu geben. Sehen Sie, meine Schwierigkeit mit den Leuten, die mich besuchen kommen, besteht darin, daß sie anscheinend nicht die Art und Weise verstehen können, in der ich funktioniere, und ich verstehe nicht, wie sie funktionieren. Wie könnten wir einen Dialog führen? Wir müssen beide aufhören. Wie könnte denn da ein Dialog möglich sein? Ich rede wie ein delirierender Wahnsinniger. All mein Reden ist völlig ohne Zusammenhang, genau wie bei einem Irren - der Unterschied liegt in einer Haaresbreite - darum sage ich, daß man in diesem Moment entweder ausflippt oder davonfliegt.

Es besteht kein Unterschied. Sehen Sie, irgendwie, durch eine merkwürdige Fügung des Schicksals, passiert so etwas - und man hat alles hinter sich.

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F: Sind selbst diejenigen, die zur 'Erkenntnis' gelangt sind, voneinander verschieden?

UG: Ja, denn ihr Lebenslauf ist verschieden. Er ist das einzige, was sich auszudrücken vermag. Was gibt es denn sonst? Was ich ausdrücke, ist mein Lebenslauf: wie ich gekämpft habe, mein Weg, der Weg, dem ich gefolgt bin, wie ich die Wege der anderen zurückgewiesen habe - bis zu diesem Punkt kann ich sagen, was ich getan und was ich nicht getan habe - obwohl mir das in keiner Weise geholfen hat.

F: Aber einer von Euch (entschuldigen Sie, daß ich 'Euch 'sage) ist doch von uns verschieden? Wir sind in unsere Gedanken verwickelt.

UG: Er ist auf Grund seines Lebenslaufes nicht nur von Ihnen verschieden, sondern auch von allen anderen, die angeblich in diesem Zustand sind.

F: Obwohl jeder, der diese 'Explosion' angeblich durchgemacht hat, einzigartig ist, so scheint es doch einige gemeinsame Charakteristika zu geben?

UG: Das ist für mich ohne Belang: anscheinend aber für Sie. Ich vergleiche mich niemals mit jemand anderem.

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Und das ist alles. Meine Biographie ist zu Ende. Mehr gibt es darüber nicht zu schreiben und wird es auch nicht geben. Wenn Leute kommen und Fragen stellen, antworte ich. Wenn sie es nicht tun, macht das keinen Unterschied für mich. Ich bin nicht in dem 'Heiligen Geschäft' etabliert, Menschen zu befreien. Ich habe keine besondere Botschaft für die Menschheit außer der, daß alle frommen Systeme zur Erringung von Erleuchtung Quatsch sind und alles Gerede, durch Bewußtheit psychologische Mutation zu erreichen, Unsinn. Psychologische Mutation ist unmöglich. Der 'natürliche Zustand' kann nur durch eine biologische Mutation zustande kommen.


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