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Platon: Die Schlange im Garten der Sexualität
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Obwohl Platon bei einigen Sexualitätshistorikern als früher Exponent und Theorist der homosexuellen Geschlechtstätigkeit gilt, kann nichts weiter von der Wirklichkeit entfernt sein. Vielmehr kann Platon vorgeworfen werden, daß er die bedrückenden Sexualnorme, unter denen der Westen seit dem frühen Mittelalter leidet, erst erfunden hat.

Zwar sind die Dialoge von Platon voller Hinweise auf die Homosexualität, und die in seinem Werk dargestellte damalige griechische (Männer-)Gesellschaft scheint die mannmännliche Liebe höher als jede andere Form der Liebe zu schätzen. Das wird klar in den Aussagen der Personen der Dialoge; das sind aber hauptsächlich Personen, die den Standpunkt Platons nicht vertreten.

In den platonischen Dialogen soll immer eine der Personen (meistens Sokrates, aber in den "Gesetzen" ein anonymer Athener) den Standpunkt der wahren Weisheit vertreten, während die anderen Gesprächsteilnehmer von überheblichen Narren (Ion, Protagoras) über bedeutende Männer von Athen, die jedoch Sokrates' Grad von Weisheit nicht erreichen (Symposion), über ernsthafte Weisheitssuchende (Staat, Gesetze, Phaidros), bis zu den begabten Schülern des Sokrates (Timaios) reichen.

Obwohl "Sokrates" die hervorragende Stellung keuscher mannmännlicher Liebe zugibt, stammen alle positiven Aussagen über den homosexuellen Geschlechtsverkehr von den weniger weisen Gesprächsteilnehmern, nie von "Sokrates" selbst. Im Gegenteil steht der Weise einer Gesellschaft gegenüber, in der die homosexelle Geschlechtstätigkeit weit verbreitet ist, und er sucht sie in Verruf zu bringen, um sie am Ende völlig auszurotten.

Das deutet auf zweierlei hin: Erstens, daß Platon kein Befürworter der Homosexualität war. Zweitens daher, daß die Behauptungen vom Vorherrschen der gleichgeschlechtlichen Sexualität unter den Griechen nicht auf falschen Wünschvorstellungen einer etwaigen damaligen Homo-Elite beruhen, sondern den tatsächlichen Zuständen des Lebens im alten Griechenland entsprechen. Schließlich wäre es unsinnig, wenn Platon, der die außereheliche Sexualität durch seine Arbeit abschaffen möchte, nur so vormachen würde, als ob die Homosexualität geläufig sei, wenn es nicht so wäre. Das würde einen Hauptgrundsatz der platonischen Pädagogik widersprechen: man solle den Menschen keine Verhaltensweisen in der Literatur vorzeigen, von denen man nicht wolle, daß sie sie im Leben nachmachen.

Ist das Werk Platons ein Ressort positiver antiker Schilderungen der Homosexualität, dann nur weil solche positiven Schilderungen in seiner Welt üblich waren. Sie stellen den Ausgangspunkt dar, von dem Platon seine Schüler und seine Gesellschaft in die ausschließliche eheliche Heterosexualität führen will.

Im Staat, in den Gesetzen und in seinen anderen Werken sucht Platon, ein Erziehungssystem aufzustellen, das die vier Haupteigenschaften eines in seiner Ansicht idealen Mannes fördern würde: nämlich die Weisheit, die Gerechtigkeit, die Mäßigkeit, und den Mut. Der Geschlechtsverkehr stelle eine grundlegende Gefahr für seinen Projekt dar, meint Platon, weil es von geistiger Tobsucht statt Vernünftigkeit geprägt sei (Staat 403) und weil der Geschlechtsakt nicht helfe, den passiven Teilnehmer den Mut und den aktiven Teilnehmer die Mäßigkeit beizubringen (Gesetze 836). Die einzige Rechtfertigung für Sexualität sei die Fortpflanzung. Daher sollte alle außereheliche Sexualität gesetzlich verboten sein (Gesetze 838-9). Wenn das nur möglich wäre! klagt er (Gesetze 835). Die Menschen auf diese Moralnorm einzustimmen, würde schwer sein, aber wenn sie nur einmal bestehe, so würde sie von selbst aufrechterhalten bleiben, solange alle Menschen nur irgendwie davon abgehalten würden, sie jemals zu widersprechen oder abzulehnen (Gesetze 838). Platon bietet verschiedene mögliche Mittel, um die Akzeptanz einer solchen Moralnorm zu erzielen: unter anderem sollte man den Kindern in dem Alter, in dem sie noch formbar sind, weismachen, daß außerehelicher Sex von Gott gehaßt sei (Gesetze 838), daß die sexuelle Enthaltsamkeit einen Sieg darstelle, der größer sei, als jeder sportliche oder militärische Sieg, und daß die sexuelle Ausschweifung häßlich sei und den Täter niedgriger als die Tiere mache (Gesetze 840). Er macht auch den Vorschlag, die Menschen zu verpflichten, sich ihrer Sexualität zu beschämen und sie zu verbergen, damit die Beobachtung des sexuellen Genusses einiger nicht zu einem Lockmittel für andere werde (Gesetze 841). Schließlich könne man ein Gesetz erstellen, das jeden Geschlechtsverkehr unter Männern sowie jeden Geschlechtsakt außer mit der Ehefrau oder den eigenen Sklavinnen verbiete (Gesetze 841).

Das ist in aller Kürze der westliche Sexualmoral. Es sollte nicht überraschen, daß er zuerst von Platon formuliert wurde, da Platon zweifellos der bedeutendste Denker in der westlichen Ideengeschichte ist. Ich sage "es sollte nicht überraschen", doch tut es das, denn (so wie Platon es vorgeschlagen hat) sind wir alle indoktriniert worden, zu glauben, daß diese Ideen religiöser Herkunft und eine Verfügung Gottes sind. Das Überraschende daran ist, daß sie keine von einem Propheten offenbarten ewigen Wahrheiten, sondern die Leistung falschen Vernunftdenkens eines im Grunde ungläubigen Mannes darstellen.

Platon war kein Prophet Gottes. Im Gegenteil, er hat vorgeschlagen, wie die göttlichen Mythen manipuliert und verdreht werden könnten und sollten, um "rationellen" Zwecken zu dienen.

Die Denkweise Platons verbreitete sich durch den ganzen Mittelmeerbereich hindurch und umzingelte die jüdische Religion lange vor dem Geburt Jesu. Nach der Unterwerfung des Mittelostens durch Alexander den Großen, blieb die politische Macht in den Händen von Männern, die mit der griechischen Philosophie erzogen wurden, worin Platon die Hauptfigur darstellte. Das war die Zeit, in der einige Bücher der Bibel geschrieben, mehrere redaktiert, und alle übersetzt, kommentiert, und ausgelegt wurden. Diese Auslegungen und Kommentare wurden von der Vernunftsphilosophie geprägt. Ob man sagen will, daß die geistlichen Gelehrten die heiligen Schriften adaptierten, um den Herausforderungen der voherrschenden Philosophie zu begegnen, oder daß sie eigentlich selbst Philosophen waren, die die überlieferten Texte als Gründungsmythen verwertbar machen wollten, um einige Ziele der Moralphilosophie zu erreichen - auf jeden Fall war der Einfluß der Philosophie auf die offenbarte Religion durchgängig, tiefgehend, und verderblich.

In diesem Zusammenhang wurde die Sodomsgeschichte zum ersten Mal als Vorwand benutzt, um alle Homosexualität zu verbieten. Die biblische Geschichte Sodoms war zuvor immer als eine Darstellung der göttlichen Bestrafung eines Volkes gesehen worden, das unbegrenzte Gewalttätigkeit und Unrecht bewiesen hatte. Sie war nie zuvor als eine Geschichte über entartete sexuelle und geschlechtliche Typen gesehen worden. Dann kam ein jüdischer Philosoph namens Philon von Alexandrien hinzu, ein Mann, der sowohl in der griechischen Philosophie wie in den hebräischen Schriften gelehrt war. Philon, der sechzehn Jahre älter als Jesus war und ihn zwanzig Jahre überlebte, war - so die Columbia Encyclopedia - "der erste bedeutende Denker, der es anstrebte, die biblische Religion mit der griechischen Philosophie zu harmonisieren." Philon argumentierte als Erster, daß die Stadt Sodom deshalb zerstört wurde, weil ihre Taten unnatürlich und pervertiert waren (statt bloß gewalttätig und ungerecht), und er war auch der Erste, der die levitischen Verbote gegen "die Beschlafung eines Männlichen" mit der sogenannten geschlechtsdifferenzierten Homosexualität in Zusammenhang brachte, in der der passive Teilnehmer eine Person ist, die kulturell als nicht-männlich bezeichnet wird. (Vgl. Philo, Über Abraham 135-141; Sondergesetze I 324-325; Sondergesetze III 37-42.)

Der biblischen Erzählung zufolge (I Mose 19), wurde die Stadt Sodom zerstört, nachdem seine Einwohner versuchten hatten, zwei Boten Gottes zu vergewaltigen, die sie für Üblichmännliche hielten. Die Stadt Sodom war von Männern bevölkert, die nach Männern gierig waren, aber das sollte nicht heissen, daß sie ausgeprägte Homosexuelle waren - das waren sie nicht. Der Bibel zufolge waren die Gewalttäter "alle Männer der Stadt, von den Jüngsten zu den Ältesten, bis auf den letzten," nicht nur die kleine Minderheit Homosexueller, die in jeder Gemeinde bestehen dürfte. Gibt es Zweifel, daß nicht-homosexuelle Männer andere Männer würden vergewaltigen wollen, sollte man die Statistik über die Vergewaltigung von Männern heutzutage einsehen, nach der die große Mehrzahl der Vergewaltiger von Männern sonst heterosexuell leben (siehe Hinweise unten in meiner Liste empfohlener Bücher), oder man sollte einfach die biblische Geschichte der Vergewaltigung nachlesen, die von den Männern von Gibeah begangen wurde (im 19. Kapitel des Buches der Richter erzählt), in der die Männer der Stadt zuerst verlangen, einen Mann zu vergewaltigen, um sich dann mit der Vergewaltigung einer Frau befriedigt zu geben. Diese Männer waren gewalttätige Verbrecher, aber sie waren keine Homosexuellen. Die meisten sogenannten "Heterosexuellen" können von Natur aus zu einem homosexuellen Akt erregt werden und ihn so gut wie Homosexuelle ausführen. Obwohl ihre bloße Lust, Männer als Sexualobjekte zu nehmen, an sich in keiner Hinsicht ungewöhnlich oder unnatürlich ist, bleibt es trotzdem wahr, daß die Realisierung dieser Lüste durch das Eindringen des Gliedes in andere "Männliche" in der antiken Welt als ein Verbrechen galt. Die Tatsache, daß sie nicht nur in Männliche eindringen, sondern sie sogar vergewaltigen wollten, legt nur eine weitere Betonung auf das Verbrecherische ihrer beabsichtigten Taten, aber andere biblische Stellen zeigen an, daß das Eindringen in Männliche an und für sich ein Verbrechen ist (III Mose 18.22, 20.13).

Um die Sodomsgeschichte und den Verbot des III. Mose aber richtig auszulegen, muß man wissen, daß das Attribut des "Männlichseins" in der antiken Welt nicht für eine bloß anatomische Eigenschaft gehalten wurde, sondern auch eine gewisse Reaktionsfähigkeit auf das weibliche Geschlecht beinhaltete. "Männlich" waren nur diejenigen, die die männliche Rolle bei der Fortpflanzung spielten oder spielen konnten. Der Menschentypus, der von Natur aus keiner sexuellen Erregung bei Frauen fähig war, wie mancher schwule Mann von heute, wurde nicht als einen "Männlichen," sondern als einen "natürlichen Eunuchen" betrachtet.

Darum ist die Sünde der Sodomiter - definiert als den sexuellen Mißbrauch von "Männlichen" - ein Sexualverbrechen, das aus einer extrem seltenen Form von Homosexualität besteht: nämlich, das sexuelle Eindringen in nicht-schwule Männer. Sie besteht weder aus Sex zwischen Frauen, noch aus Sex zwischen homosexuellen Männern. Sie besteht nicht mal aus Sex zwischen hetero- und homosexuellen Männern, solange der Hetero die aktive Rolle beibehält. Nur wenn in einen möglicherweise heterosexuell tätigen Mann eingedrungen wird, kommt die Frage einer Sodomie überhaupt auf. Darum stellt die Sodomie nur einen kleinen Teil der ganzen Reihe von sogenannten homosexuellen Handlungen dar.

Wenn man manche Religionsgläubigen mit dieser Auslegung der Geschichte konfrontiert, und erklärt, daß die meisten Formen der Homosexualität überhaupt nicht verboten waren, und daß nur eine einzige, sehr seltene Form es war, so wollen sie nun oft von der Sodomsgeschichte absehen, und ziehen nun die Behauptung vor, daß jeder außereheliche Sex verboten sei und daß die Ehe nur zwischen Mann und Frau eingegangen werden könne. Derart zeigen sich diese Religionsgläubigen aber nur als gute Platonisten! Die Lehre von "kein Sex außerhalb der Ehe" werden sie nirgends in der Bibel oder dem Qur'an finden (ausgenommen die Briefe des Paulus, der ja wie Philon in der griechischen Philosophie ausgebildet war). Allerdings wurde es durch die beständige Wiederholung der Religionsführer zum Axiom, das akzeptiert und niemals widersprochen wird, genau so wie es Platon empfohlen hatte. Es ist ein Beispiel von dem, was im Qur'an heißt: Sagen, daß etwas von Gott ist, obwohl es nicht von Gott ist.

In der Bibel und im Qur'an schreibt Gott den Menschen vor, sich sexuell einzuschränken, aber es gibt keine Verpflichtung zur vollen sexuellen Enthaltsamkeit oder zur Vermeidung aller Sexualität außerhalb der Ehe. Tatsächlich dürfen Männer dem Qur'an nach ausdrücklich mit so vielen Sklaven Sex treiben, wie sie nur zu halten imstande sind (z.B. Qur'an 4.3, 23.6, und 70.30, ganz zu schweigen von 33.50). Und es steht da keine Vorschrift über das Geschlecht dieser Sklaven (solange sie nicht "männlich" sind, versteht sich).

Die sexuelle Einschränkung, die die Bibel (außer dem Philosophen Paulus) und der Qur'an vorschreiben, hat nichts mit der Bändigung des Appetits im platonischen Sinne zu tun. Vielmehr geht es darum, die Rechte anderer nicht zu verletzen, was zum Konflikt führen könnte. Darum darf man mit den Menschen Sex haben, mit denen man ein Recht dazu hat, aber nicht mit Menschen, mit denen man kein Recht dazu hat. Das klingt ein wenig tautologisch; also laß mich das klarer ausdrücken. Der Gott der Offenbarung erlaubt, daß man mit jeder beliebigen Person Sex hat, mit der man nur will, solange man dabei nicht die Rechte irgendeiner Person verletzt. Die Verletzung von Rechten ist es, was das Verbrechen ausmacht, nicht das sexuelle Vergnügen.

Beim Ehebruch ist es klar, welche die Geschädigten sind: der Ehemann der Ehebrecherin oder das Kind, das aus dem Ehebruch stammt, falls der Ehemann es verleugnet. Bei der Sodomie sind die Geschädigten der Mann, in den eingedrungen wird, falls er vergewaltigt wurde, und eventuell die Frau eines sogar willigen passiven Empfängers der sexuellen Eindringung, sowie ihre Kinder. Obwohl wir heute wissen, daß der durchdrungene Mann nicht den Samen des Eindringers an seine Frau weiterleitet, wissen wir auch, daß er sie und ihre Kinder mit einer eventuell so empfangenen Krankheit vielleicht anstecken könnte.

Zum Beispiel kann nach Schätzungen, die ich gelesen habe, der passive Teilnehmer beim Analverkehr zehnmal so leicht eine HIV-Ansteckung empfangen als der aktive Teilnehmer. Wenn also ein Mann einen anderen in sich aufnimmt, und danach mit einer Frau schläft, so gibt es dann eine zehnmal größere Wahrscheinlichkeit, daß er ihr und ihrer Nachkommenschaft HIV weiterleitet, als es sich aufgrund seines Eindringens in jemanden ergeben würde. Die Sorge um die mögliche Weiterleitung von Krankheiten an ungeborene Kinder mag wohl hinter dem Verbot des sexuellen Eindringens in Männer stehen, die auch mit Frauen schlafen.

(Damit ergibt sich die Frage, ob ein gewolltes sexuelles Eindringen mit Kondom - safer Sex nämlich - den Sodomieverbot verletzen würde. Vielleicht nicht. Allerdings könnten andere Belange mitwirken, die uns unbekannt wären. Solche könnten z.B. mit der Erhaltung des geschlechtlichen Selbtsverständnisses und der sexuellen Veranlangungen heterosexuell tätiger Männer zu tun haben. Der Philosoph Aristoteles z.B. warnte, daß Jungen, bei denen der passiven Homosexualität nicht vorgebeugt wird, heterosexuell impotent werden könnten.)

Die meisten Autoren der Antike haben angenommen, daß ein "richtiger Mann" die passive Rolle sowieso nicht für sich wünschen würde. Wenn Männer, die Frauen liebten, sich doch von anderen Männern sexuell gebrauchen ließen, so wurde angenommen, daß irgendein anderer Zweck als sexuelle Lust den Anlaß dazu gegeben hat, wie z.B. eine Bezahlung. Solche Männer galten als verachtenswerte Verkäufer ihrer eigenen Männerwürde. Andererseits wurde von den Männern angenommen, die die passive Rolle wirklich wünschten, daß sie impotent, weibisch, und nicht richtige Männer waren, und darum zur Ehe unfähig seien.

Die Schlußfolgerung ging so: war man ein richtiger Mann, so könnte er unmöglich wollen, sich eindringen zu lassen; also wenn einer die passive Rolle wirklich suchte, so müßte er kein richtiger Mann sein. Wollte man eine Frau heiraten, so hieß das, daß man die männliche Rolle spielen würde, darum dürfte er sich von keinem Mann eindringen lassen. Hätte man derartiges mit sich machen lassen, so durfte er keine Frau heiraten. Es war eine einfache Regel, völlig sinnvoll, und leicht zu erfüllen. Das gesellschaftliche Stigma, sein Männlichsein zu verlieren, würde genügen, die Neugierde eines heterosexuell tätigen Mannes in Bezug auf die passive Rolle zu stillen, falls er eine solche empfand. Dagegen hätte ein Mensch, der von Natur aus mit Frauen impotent und daher ein "natürlicher Eunuch" war, von Anfang an keinen männlichen Status erworben und bräuchte sich nicht um dessen Verlust zu kümmern.

Dieses System war in voller Einklang mit der Natur. Zudem erlaubte es eine befriedigende Übung der sexuellen Lüste und die Entwicklung von Liebesbeziehungen, die oft fragil sind, ohne die Gefahr einer Schwangerschaft zu laufen, die mit der Heterosexualität einhergeht. Demgegenüber unterlagen heterosexuelle Beziehungen einer strengen Kontrolle wegen der Möglichkeit einer Schwangerschaft. Mit diesem Moralsystem ist Platon aufgewachsen.

Die Regelung lautete: Homosexualität zum Verliebtsein (was flüchtig ist), Heterosexualität zum Kindererziehen (was dauernd ist). Darin bestand die antike Familienplanung. Während die Frauen sexuelle Beziehungen mit beliebigen anderen Frauen anknüpfen durften, mußte Männer darauf aufpassen, daß ihre passiven Partner nicht "männlich" im Sinne der Fortpflanzung waren. Die ihnen verfügbaren Partner waren weibliche Prostituierte, unbärtige Jünglinge, und natürliche und künstliche Eunuchen. Tatsächlich waren es diese drei Gruppen, aus denen die Männer der Antike ihre Geliebten wählten. Die "natürlichen Eunuchen," die keine Lust auf Frauen, sondern nur auf Männer empfanden, durften sich voneinander oder von "männlichen" Männern eindringen lassen.

Das Verliebtsein bot jedoch keine Grundlage für die Eingehung eines dauernden Eheverhältnisses. Bei der Ehe handelte es sich um einen Vertrag, miteinander Kinder zu erzeugen, und das Verliebtsein war allenfalls ein Hindernis bei der Eingehung eines solchen Vertrages. Das Verliebtsein könnte die Urteilsfähigkeit beeinträchtigen, und dürfte den Betreffenden zur Schaffung einer Bindung verleiten, die er später bereuen würde. Da das Verliebtsein ein zeitweiliges Vergnügen war, dessen zeitlicher Bestand nicht erwartet wurde, wurde es am besten mit jemandem erlebt, von dem kein dauerndes Engagement verlangt wurde. Deshalb war ein gleichgeschlechtlicher Partner ideal. Auch Platon billigte das mannmännliche Verliebtsein, obwohl er darauf bestand, daß sich dabei kein wirklicher Sex abspielen sollte (das war die sogenannte platonische Liebe).

Es dauerte Jahrhunderte, ehe die repressiven Ansichten Platons über das Geschlechtsleben vorherrschend wurden. Ich zeige in einem anderen Aufsatz  auf dieser Website, daß das erste wirksame Gesetz gegen die geschlechtsdifferenzierte Homosexualität (d.h., die Homosexualität zwischen Männern, bei der der passive Teilnehmer als nicht-männlich gilt, sei es wegen einer fehlenden Erregung bei Frauen oder irgendeines anderen Grundes) erst 390 n.Chr. erlassen wurde, d.h. sieben hundert Jahre nach dem Tod Platons.

Im zwanzigsten Jahrhundert aber sind wir über Platons Absicht, den Sex aus der mannmännlichen Liebe zu entfernen, noch weiter hinausgegangen. Durch die Arbeit der Psychologen des späten 19. und des 20. Jahrhunderts, zusammen mit der politisch motivierten Hysterie der frühen Nachkriegszeit über die vermeintliche Bedrohung der Gesellschaft durch Pervertierte und dem sich daraus ergebenden zwanghaften Bedürfnis, "normal" zu erscheinen, führte die Ausgrenzung der gleichgeschlechtlichen Liebe zum Verschwinden auch keuscher Liebe und Zuneigung zwischen Männern. Diese waren im neunzehnten Jahrhundert noch ziemlich geläufig, und in den Gesellschaften, die noch keine Hetero-Angst-Wellen erlebt hatten, sogar noch bis in die jüngste Zeit erhalten geblieben.

In der Überschrift zu diesem Aufsatz bezeichnete ich Platon als die Schlange im Garten der Sexualität. Er fand eine natürliche Welt vor, in der sich die Menschen erlaubten, unzählige Vergnügen mit nur wenigen wesentlichen Einschränkungen zu geniessen, und, nachdem er ihnen versprach, sie aus der Unwissenheit in die Kenntnis vom Guten und Bösen zu erheben, hat er sie am Ende dazu verleitet, sich aus dem Paradies in eine Welt von Scham und Qual zu verbannen.